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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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hatte. Eine Menge davon hatte ich schon getan. Warum nicht auch das?
    »Wie oft wäre ich denn dran?« fragte ich.
    »Einmal in der Woche. Das schaffen Sie spielend.«
    »Ich brauche ein bißchen Zeit, um mich zu erholen«, bat ich, »aber dann versuche ich es. Sagen wir in drei Wochen?«
    »In drei Wochen«, sagte Frau Wüster und schien sich richtig zu freuen.
    Eifrig erkundigte sie sich, ob ich Themenvorschläge hätte und welche Gäste ich mir vorstellen könnte. Ich wollte gerade antworten, da kam Lucy ins Zimmer, griff sich grußlos eine Handvoll Kekse vom Tisch und wollte wieder verschwinden.
    »Könntest du bitte Guten Tag sagen«, forderte ich sie auf.
    »Guten Tag«, äffte sie mich nach.
    Ich sah sie an und traute meinen Augen nicht.
    In ihrer Oberlippe, leicht rechts von der Mitte, hing ein kleiner, silberner Ring. Die Haut um die Stelle, wo das Metall sich durch das Fleisch bohrte, war rot und angeschwollen.
    Sie hatte sich tatsächlich piercen lassen. Sie wußte genau, wie ich das haßte. Natürlich war sie genau jetzt ins Zimmer gekommen, damit ich es sehen sollte.
    Ich tat ihr nicht den Gefallen, vor meinem Gast auszuflippen, sondern plauderte locker noch ein bißchen mit Frau Wüster.
    »Vielleicht sollten wir »Mütter und Töchter« als erstes Thema nehmen«, sagte ich zum Abschied.
    Ich hatte es scherzhaft gemeint, aber Frau Wüster fand, das sei eine tolle Idee.
    »Ich melde mich«, versprach sie und stieg in ihr kleines rotes Auto.
    Aufreizend stolzierte Lucy vor mir auf und ab. Ich sah ihr an, wie sie auf meine Reaktion brannte.
    »Jetzt soll ich dir wahrscheinlich erzählen, wie beschissen ich Piercing finde«, sagte ich ruhig.
    »Du sollst mir gar nichts erzählen. Oder ich erzähle dir mal, was ich alles beschissen an dir finde.«
    Lucy war Aggression pur. Sie strafte mich für meine Abwesenheit und für die Sache mit dem Valium, obwohl ich ihr längst erklärt hatte, daß ich keineswegs die Absicht gehabt hätte, mich umzubringen.
    Am meisten aber strafte sie mich für meine Affäre mit Rilke, die sie als Eindringen auf ihr Territorium wertete.
    Dreiundzwanzigjährige waren ihre Welt, was hatte ihre Mutter dort zu suchen?
    Ich erinnerte mich an einen Moment, als wir uns einmal zufällig im »Rio«, ihrem Stammcafe, getroffen hatten.
    Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet, als sie mich und Rilke gesehen hatte. Sie war aufgestanden und rausgelaufen, so sehr hatte sie sich vor ihren Freunden für mich geschämt.
    Seit ich aus dem Krankenhaus zurück war, ließ sie mich für alles büßen. Ich fühlte mich zu geschwächt, um den Kampf mit ihr aufzunehmen, und meine Zurückhaltung provozierte sie nur noch mehr.
    »Warum mußte das jetzt auch noch sein, daß sie sich einen Ring durch die Lippe treiben läßt wie ein Stück Vieh?« fragte ich Friedrich verzweifelt.
    Er sah mich nachdenklich an. »Vielleicht hatte sie das Bedürfnis, wenigstens einmal selbst zu entscheiden, wer ihr weh tut.«

Vierundzwanzig
     
    Eines Tages war Lucy verschwunden.
    Es war nicht wie damals, als sie einfach bei Jojo geblieben war. Sie hatte ihren Weggang geplant, hatte Sachen eingepackt, Geld aus der Küchenschublade genommen und einen Brief hinterlassen.
    »Ich ertrage Euch nicht mehr. Neben Euch könnte ich verrecken und Ihr würdet es nicht mal merken, so beschäftigt seid Ihr mit Eurer Ehe-Scheiße. Sucht nicht nach mir, ich komme schon durch. Lucy.«
    Es war wie eine kalte Dusche, die mich dazu brachte, endgültig aufzuwachen. Friedrich sah mich an, den Brief in der Hand.
    »Welcher Tag ist heute?«
    Ich griff nach der Zeitung. »Der Zweiundzwanzigste.«
    »Weißt du, was das für ein Tag ist?«
    Ich nickte. In der gleichen Sekunde wie ihm war es mir eingefallen.
    »Lucys Geburtstag!« rief Friedrich. »Wir haben den Geburtstag unserer Tochter vergessen.«
    Eine lähmende Angst breitete sich in mir aus.
    So, wie Lucy drauf war, würde sie bestimmt nicht auf sich aufpassen, sondern sich eher noch absichtlich in Gefahr bringen.
    Ein erster panischer Anruf bei Jojo ergab, was ich insgeheim erwartet hatte.
    »Nee, weiß nicht, wo sie steckt. Wir haben uns nicht oft gesehen in letzter Zeit.«
    Fieberhaft überlegten wir weiter, was wir machen sollten. Ich war so außer mir, daß ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.
    »Ich gehe zur Polizei«, sagte Friedrich schließlich.
    Mir war alles recht. Hauptsache, er unternahm irgendwas. Aufgelöst lief ich durchs Haus. Wie konnten wir es nur so weit kommen lassen! Ich

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