Am Anfang war der Seitensprung
Natalie, aber der Beamte mußte mich enttäuschen.
»Ohne den Nachnamen und ohne den Wohnort können wir nichts machen«, sagte er bedauernd, »aber wir haben die Kollegen in Franken informiert. Wenn ihre Tochter dort aufgegriffen wird, hören Sie sofort von uns.«
Ich wich nicht vom Telefon.
Wiltrud meldete sich und heuchelte Anteilnahme; in Wahrheit platzte sie mal wieder vor Neugierde. Ich erklärte ihr, daß ich die Leitung freihalten müsse.
Es klingelte wieder.
»Hi, Bella«, hörte ich Rilkes Stimme. Ich zuckte zusammen.
»Ich will dich nicht nerven«, sagte er schnell, »ich hab nur im Radio von Lucy gehört. Ich wollte dir sagen, am Wochenende ist eine gigantische Techno-Party in Frankfurt. Raver aus ganz Deutschland treffen sich dort, vielleicht wollte Lucy da hin.«
»Danke«, sagte ich und meine Stimme klang heiser.
»Sonst alles klar?«
»Alles klar, Rilke. Mach’s gut.«
»Mach’s besser, Bella.«
Ich ließ den Hörer sinken.
»Wer war das?« rief Friedrich aus dem Nebenzimmer, wo er über einer Deutschlandkarte brütete.
»Ein Freund von Lucy. Er denkt, sie könnte nach Frankfurt zu einer Techno-Party gefahren sein.«
»Steht sie denn noch auf Techno?«
»Keine Ahnung.«
Zum x-ten Mal ging ich in ihr Zimmer, wo ich schon Stunden damit zugebracht hatte, nach irgendwelchen Hinweisen zu fahnden.
Ihr Adreßbuch war weg, ihr Tagebuch ebenso. Es waren keine Briefe da, die Aufschluß über ihren Aufenthaltsort gegeben hätten. Nichts, absolut nichts.
Es klingelte an der Tür, Queen Mum stürmte ins Haus, einen Henkelkorb in der Hand.
»Kann ich etwas tun?« fragte sie ohne Begrüßung.
Ja, wieder gehen, dachte ich. Ich schüttelte den Kopf.
»Habt ihr schon gegessen?«
Ich verneinte noch mal.
»Dann werde ich euch was richten, ihr müßt was essen, trotz allem.«
Damit verschwand sie fürs erste in der Küche.
Ich ging zu Friedrich ins Wohnzimmer. Blaß und mit angespanntem Gesicht wanderte er durch den Raum, wie immer, wenn er sich aufregte. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen.
»Irgendwas Neues?« Hoffnungsvoll richtete er den Blick auf mich.
»Ich glaube, nicht. Das mit der Techno-Party halte ich für unwahrscheinlich. Jojo stand auf Techno, aber seit sie mit ihm nicht mehr zusammen ist, habe ich sie nie mehr davon reden hören. Zuletzt hörte sie wieder diesen Teenie-Kram, ›Tic, Tac, Toe‹ und so was.«
Er nickte und zeigte auf die Karte.
»Ich habe Kringel um die Orte gemacht, wo wir irgend jemanden kennen, und die Namen daneben geschrieben. Vielleicht sollten wir mal rundrufen.«
Ich bezweifelte, daß es viel Sinn hätte. Wenn Lucy bei Verwandten oder Bekannten aufgetaucht wäre, hätten wir es doch längst erfahren. Andererseits, wenn Lucy schwindelte und einfach behauptete, wir wüßten Bescheid?
Außerdem wollte ich das Telefon nicht blockieren; jeden Moment hoffte ich auf den erlösenden Anruf. Halt, ich hatte ja das Handy!
Hektisch wechselte ich den Akku und telefonierte Friedrichs Liste durch. Niemand wußte etwas von Lucy, aber natürlich versprachen alle, sich zu melden, falls sie auftauchten sollte.
»Nun stärkt euch erst mal«, forderte Queen Mum uns auf, die mit einem vollen Tablett aus der Küche kam. »Es bringt keinem was, wenn einer von euch zusammenklappt.«
Die Vorstellung, irgendwelche Körnerpampe zu verspeisen, machte mich überhaupt nicht an, obwohl ich eigentlich Hunger hatte.
Um so erfreuter war ich, als ich mich an den Tisch setzte und sah, was meine Mutter zubereitet hatte.
Auf einer Platte lagen hauchdünne Scheiben luftgetrockneten Schinkens und feinster Salami, dekoriert mit winzigen Tomaten und Oliven, dazu italienisches Weißbrot. Dampfende Canelloni, mit Käse überbacken, bildeten den Hauptgang.
Sie stellte eine Flasche Rotwein dazu und erklärte: »Das Fleisch ist übrigens von einem Bio-Bauernhof.«
»Ißt du nicht mehr vegetarisch?« fragte ich verblüfft.
»Nein, Martin hat mir die fleischlichen Genüsse wieder nahegebracht. Dafür rauche ich nicht mehr.«
Schlagartig wurde mir klar, was mich schon bei der Hochzeit so irritiert hatte. Die ganze Zeit hatte ich gegrübelt, was sich an Queen Mum verändert hatte, aber ich war nicht draufgekommen. Klar, sie hatte während der ganzen Feier kein einziges Mal eine Zigarette in der Hand gehalten.
Dankbar griffen Friedrich und ich zu. Es war tröstlich, mit gutem Essen und Wein verwöhnt zu werden, wenn man so voller Sorge und erschöpft war wie wir.
Die Atmosphäre war ruhig,
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