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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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machte mir schreckliche Vorwürfe.
    Ich telefonierte Lucys Freundinnen durch, in der Hoffnung, sie hätte etwas über ihre Pläne fallengelassen.
    Aber entweder wußten die Mädels wirklich nichts, oder sie hielten dicht. Ich erfuhr jedenfalls nichts von Bedeutung, außer, wie wenig ich von meinem Kind wußte.
    Sie hatte nichts von ihrem Krach mit dem Mathelehrer erzählt und nichts davon, daß ihre beste Freundin Natalie umgezogen war. Die Freundschaft zu Jojo war schon seit längerem in der Krise, und sie war darüber sehr unglücklich. Außerdem hatte sie angefangen, sich für eine Umweltschutzgruppe zu engagieren und in ihrer Freizeit Unterschriften zu sammeln. Nicht mal davon hatten wir etwas mitbekommen.
    Wir hatten seit Wochen nicht miteinander gesprochen, nur, um uns zu streiten. Sie mußte sich total verlassen gefühlt haben.
    Friedrich gab sich optimistisch, als er von der Polizei zurück war.
    »Sie sagen, neunzig Prozent der Vermißten tauchen in den ersten zwei Tagen nach ihrem Verschwinden wieder auf. Wir sollen uns nicht verrückt machen.«
    Das sagte sich leicht.
    Als das Telefon klingelte, riß ich den Hörer hoch.
    »Lucy, bist du’s?«
    »Nein, hier ist Wüster, störe ich?«

    »Nein, ich hatte nur einen anderen Anruf erwartet, entschuldigen Sie bitte.«
    »Ich wollte fragen, ob Sie die Unterlagen bekommen haben?«
    Welche Unterlagen? Oh, verdammt, übermorgen hatte ich meine erste Sendung. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht!
    »Ja, die sind angekommen. Ich bin gerade dabei, sie zu lesen.«
    Ich kramte in meinem Poststapel, bis ich den Umschlag gefunden hatte.
    »Dann bleibt’s also morgen bei unserem Vorgespräch?«
    »Selbstverständlich.«
    Mir blieb auch nichts erspart.
    Ich sah das Material durch. Das sollte ich alles bis morgen lesen! Wie war noch das Thema? Natürlich,
    »Mütter und Töchter«. Hatte ich ja selbst vorgeschlagen.

    In dieser Nacht lagen Friedrich und ich zum ersten Mal wieder nebeneinander im Bett. Die Zeit davor hatte er im Gästezimmer geschlafen. Aber als wir uns an diesem Abend verabschiedeten, ertrug ich den Gedanken nicht, die ganze Nacht allein mit meiner Angst um Lucy zu sein.
    »Komm mit zu mir«, bat ich und ergriff seine Hand.
    Er zögerte.
    »Bitte, Friedrich. Ich mache mir solche Sorgen, ich halte das Alleinsein nicht aus.«
    Schließlich gab er nach und legte sich im Bademantel auf seine Bettseite. Ich stellte das Telefon auf den Nachttisch.
    Wir schauten eine Weile schweigend in den Fernseher, als käme von dort die Antwort auf unsere brennende Frage. Irgendwann stellte ich den Kasten genervt aus.
    »Wo kann sie bloß sein?« zerbrach ich mir zum hundertsten Mal den Kopf.
    Friedrich zuckte die Schultern. »Ich weiß es doch auch nicht. Sie kann überall sein.«
    »Und wenn ihr was passiert?« fragte ich leise.
    »Das würde ich mir nie verzeihen.«
    »Und mir auch nicht, stimmt’s?«
    Er sah mich an, und ich spürte, wie er litt. Er schüttelte den Kopf.
    »Ich mache dir keinen Vorwurf. Wir haben es beide zu verantworten.«
    In einer plötzlichen Gefühlsaufwallung beugte ich mich zu ihm und umarmte ihn.
    »Sie wird wiederkommen, ganz bestimmt«, versuchte ich, uns beiden Mut zuzusprechen.
    Fast erstaunt bemerkte ich, daß er meine Umarmung erwiderte. Aufschluchzend schmiegte ich mich an ihn.
    Ich war nicht allein. Friedrich war immer noch da, komischerweise.

    Auch der nächste Morgen brachte keine Nachricht von Lucy. Ich nahm all meine Kraft zusammen und vertiefte mich in die Vorbereitung der Sendung. Wie sollte ich das bloß schaffen?
    »Was machst du da, Mami?« erkundigte sich Jonas, als er von Goofy zurückkam, wo er die letzten zwei Tage verbracht hatte.
    »Ich habe eine neue Arbeit.«
    »Lesen? Und dafür kriegst du Geld?«

    Ich lächelte. »Nein, fürs Lesen nicht. Ich rede hinterher im Radio mit Leuten darüber.«
    »Ach so, du machst jetzt doch diese Talk-Show?«
    »Genau.«
    »Mensch, das ist ja irre! Kann ich dich diesmal hören?«
    Jonas war ganz aufgeregt.
    »Das will ich hoffen!«
    Ich versuchte, mich erneut zu konzentrieren, aber Jonas schlich weiter um den Küchentisch herum.
    »Wo ist denn Lucy?«
    Mist, was sollte ich ihm bloß sagen? Ich überlegte kurz, dann beschloß ich, ihm die Wahrheit zu sagen. Er würde sowieso mitkriegen, daß etwas nicht stimmte.
    Ich klappte meinen Ordner zu und sah ihn ernst an.
    »Lucy ist abgehauen, Jonas. Wir wissen nicht, wo sie ist.«
    »Echt?« Jonas riß die Augen auf. »Ist sie ganz

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