Am Anfang war die Mail
Geschichte erzählen, die mir so laut im Kopf umherschwirrt, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Ich will die schmerzende Realität für eine Zeit verlassen und mich der Fantasie hingeben. Ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest …
Normalerweise würde er so einer Bitte nicht nachkommen. Wieso hatte er den Anhang geöffnet? Und wieso hatte er nicht nach den ersten drei Sätzen wieder aufgehört?
Weil es irgendwie … fesselnd war.
Joshua überlegte, ob diese Sophie mit Nadia eine fiktive Person oder sich selbst meinte. Doch er kam zu keinem Entschluss. Er loggte sich aus seinem Account aus und widmete sich den Unterlagen, die er noch bearbeiten wollte.
Eine halbe Stunde später bemerkte er, dass er zwar auf die Blätter starrte, sich aber nicht auf die Texte konzentrieren konnte.
›Warum denkt sich jemand so eine Story aus? Ob Nadia existiert? Eine Geschichte die mir Kopfschmerzen verursacht. Ob es wirklich einen Tumor gibt?‹
Josh kam nicht von dem Thema los. Er loggte sich wieder in seinen E-Mail-Account ein und suchte sich die Nachricht noch einmal heraus. Er schloss seinen Laptop an den Printer und druckte den Anhang aus. Während dieser mechanisch vor sich hin ratterte, schmierte Jo sich ein Butterbrot.
Mit seiner Stulle und der Geschichte in Händen setzte er sich wieder an den Tisch. Schnell war er erneut gefangen. Konnte sich kaum losreißen. Wieso hatte diese blöde Mail so eine Wirkung auf ihn? Ehe er sich versah, war er auf Seite sechs. Dabei konnte man ihn nicht als eine Leseratte bezeichnen. Doch diese Geschichte hatte etwas Lebendiges. In Josh kam das Gefühl auf, alles hautnah mitzuerleben. ›Na ja, ich bin ja eigentlich auch dabei …‹
Er entwickelte Sympathie für das Mädchen. Fand sie witzig. Mochte ihre tollpatschige Art. ›Krieg dich wieder ein, die Tussi ist nicht echt!‹
Als er Geräusche im Flur hörte, schob er die Blätter schnell unter die anderen Unterlagen. Sein Bandkollege Nicklas war aufgestanden und kam verschlafen in die Küche geschlurft.
»Gibt’s noch Kaffee?« Müde gähnte er herzhaft.
Jo biss von seinem Brot ab und zeigte kauend auf die Maschine.
»Was machste denn schon so früh?« Nicklas setzte sich mit seinem Becher an den Tisch.
»Früh? Es ist nach zwölf.«
Nick machte große Augen. »So spät schon? Wieso haste mich denn nicht geweckt? Wo sind die anderen?«
»Die pennen auch noch. Ihr habt den gestrigen Abend einfach nicht gut verkraftet.« Leicht boxte Jo seinem Freund gegen die Schulter. »Ihr könnt froh sein, dass ihr mich habt. Ich bin so fleißig und arbeite für uns alle. Ich prüfe nämlich dieses Angebot. Wir haben da eine Antwort auf unser Demo bekommen.« Er deutete auf den Haufen Papier.
»Was sagt unser Manager?« Nick trank noch einen Schluck Kaffee. »Immerhin bezahlen wir ihn dafür, dass er solche langweiligen Sachen prüft.«
»Ja, der sagt, wenn wir Bock drauf haben, gibt’s keinen Grund abzulehnen.«
Sie hörten, wie eine Tür aufging. Jemand tapste barfuß durch den Flur. Dann wurde die Badtür geschlossen. Die beiden Jungs schauten sich an.
»Guten Morgen, ›DTA‹!«, rief Josh lauthals durch die gesamte Wohnung. Er war richtig gut gelaunt. »Auf geht’s! Schaffen wir was.«
Nicklas nickte.
Die Band wohnte in Köln in einer schönen Altbauwohnung. Jeder hatte sein eigenes Zimmer. Doch sie teilten sich ein Badezimmer, und es gab kein Wohnzimmer. Die Küche war ihr Aufenthaltsraum. Hier verbrachten sie die meiste Zeit zusammen.
Seit fünf Jahren kämpfte die Band um den ganz großen Erfolg. Sie verschickten Demo-Tapes ohne Ende, nahmen an etlichen Musik-Wettbewerben teil und spielten sich quer durch Deutschlands kleine Hallen und Festivals. Während einer Tour schliefen sie im Tourbus oder in einfachen Hotels. Zu Hause waren sie selten. Meistens nur, wenn sie Urlaub hatten. Zurzeit jedoch arbeiteten sie an ihrem zweiten Studioalbum und nahmen dies in Köln auf.
Es war Februar und für dieses Jahr war die erste große Deutschlandtour geplant. Die Vorbereitungen liefen mit Volldampf. Ihr Manager hatte zusätzlich zum Studio einen Proberaum angemietet, wo sie sich täglich trafen. Jeden Montag besprachen sie gemeinsam die Woche.
Am Vorabend waren sie für Promotionzwecke auf einer Musikmesse gewesen. Anschließend sind sie in einem ›Irish-Pub‹ versackt. Da heute Samstag war, hatten sie ein wenig Freizeit. Aber meistens waren die Wochenenden mit Presseterminen vollgestopft, die sie aufgrund der Proben
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