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Am Anfang war die Mail

Am Anfang war die Mail

Titel: Am Anfang war die Mail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Nasir
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Thema mehr für ihn.
    Kratzend schob sich die Fahrstuhltür ineinander und riss ihn so aus seinen Gedanken. Erst jetzt bemerkte er, wie verkrampft er innerlich war. Gemeinsam traten sie aus der  muffigen Kabine.
    »Bereit für die Show«, murmelte er leise.
    Die erste Tote lag im Flur der Wohnung. Keller blieb einen Augenblick vor der Tür stehen, die Augen geschlossen. Während er sich blind die weißen Latexhandschuhe überzog, versuchte er, alle Gefühle abzustellen. Noch einmal atmete er tief ein. Dann schlug er die Augen auf.
    Das Bild der Toten sprang ihm förmlich entgegen. Weiblich, korpulent, das Alter schwer einschätzbar. Auf dem Bauch liegend, das Gesicht zur Erde gedreht. Der schwarze Griff eines Messers ragte aus ihrem Rücken, die Klinge fast bis zum Heft in ihren Körper getrieben. Nur ein schmaler silbriger Rand schimmerte zwischen dem getrockneten rotbraunen Fleck auf ihrer Kleidung und dem schwarzen Griff hervor. Keller riss sich von dem kaleidoskophaften Anblick der Leiche los und betrachtete den Rest der Wohnung. Vier weitere Räume zweigten vom Flur ab. Durch die offene Tür rechts konnte er das Ende eines Sofas sehen. Ein aufrecht stehendes, gelbes Zahlenkärtchen mit der Nummer Vier markierte eine Gruppe dunkler Spritzer an der Wand darüber. Entgegengesetzt lag eine halb geöffnete Tür, hinter der das Fußende eines Bettes zu sehen war. Dort liefen außerdem Spurensicherer in weißen Papieranzügen und mit Überziehern für ihre Schuhe umher. Immer wieder gerieten sie in Kellers begrenzten Blickwinkel.
    Auf der Längsseite ihm gegenüber lagen zwei weitere Durchgänge. Der Linke führte durch einen bodenlangen Vorhang aus schmierigen Holzperlen in die Küche. Staubkörnchen tanzten im Licht vor grünen Schrankfronten mit dunkelbrauner Oberfläche. Der andere Durchgang musste dementsprechend ins Bad führen: Die eingelassene aufgeraute Glasscheibe ließ zwar nichts erkennen, doch das war der letzte Raum, der insgesamt noch fehlte.
    Eine Gestalt im weißen Papieranzug mit Kapuze kam aus dem Schlafzimmer auf die Beamten zu. Was von dem eiförmigen Ausschnitt seines Gesichts noch freilag verschwand unter einem fransigen Ziegenbärtchen.
    »Wir sind gerade fertig geworden«, begann er direkt, ohne sich mit einer Vorstellung aufzuhalten, »die Leichen sind schon freigegeben und werden gleich abgeholt. Jedenfalls war vorhin schon jemand deswegen hier. Habt ihr die Sache schon offiziell übernommen?«
    Keller nickte knapp. Wedding zückte zusätzlich noch seinen Dienstausweis.
    »Die andere Leiche liegt im Wohnzimmer«, sagte der Mann im weißen Overall mit einem Nicken. »Ist übel zugerichtet worden. Ich meine, wirklich übel.«
    Weddings Stift kratzte bereits über die Seite seines Notizbuches. Nun stoppte er, schwebte nur wenige Millimeter über dem Papier. »Was soll das heißen?«
    Der andere zuckte die Schultern. »Ich mein ja nur. Das Ganze ist kein schöner Anblick. Aber seht euch das selbst an. Wir haben ohnehin jede Menge Zeug gefunden, das erst noch ausgewertet werden muss.«
    Wedding schrieb weiter. »Wer hat sie eigentlich gefunden, die beiden Toten?«
    Der Kollege warf theatralisch die Arme in die Luft. »Ehrlich, Mann, keine Ahnung. Da müsst ihr bei der Meldestelle nachfragen. Die Notrufzentrale sollte das eigentlich wissen. Wir räumen nur das zusammen, womit ihr nachher den Täter fangt.«
    Statt einer Antwort drückte Wedding auf den Knopf seines Kugelschreibers. Geräuschvoll verschwand die Mine im Inneren des Stifts. »Okay. Danke«, sagte er säuerlich.
    Der andere drehte sich schon wieder um. »Also, wenn das alles ist, fangen wir an einzupacken. Ihr bekommt dann unseren vorläufigen Bericht, sobald er fertig ist.«
    Keller hatte sich früher aus dem Gespräch gelöst. Er war schon halb den Flur hinabgegangen, als sein Partner ihm schließlich folgte. Als Erstes fiel ihnen die Einrichtung auf. Oder was davon übrig war. Das Sofa war zum Teil von der Wand abgerückt und stand schief im Raum. Braune Sprenkel zogen sich im weiten Bogen über den groben Stoff und die Wand dahinter. Der übergroße Fernseher lehnte umgestürzt in einer Ecke. Dunkle Striemen getrockneten Blutes klebten daran, ebenso wie an dem umgestürzten Sessel vor der Heizung. Auf dem winzigen Raum dazwischen, auf den zertrümmerten Resten eines Tisches, erwartete sie der zweite Tote.
    Unwillkürlich machte Keller einen weiteren Schritt auf den Leichnam zu, akribisch darauf bedacht, nichts zu berühren. Als er

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