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Am Anfang war die Mail

Am Anfang war die Mail

Titel: Am Anfang war die Mail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Nasir
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nicht, dass die Leute umfielen wie die Fliegen. Die Hitze ließ zusätzlich die Gemüter hochkochen. Und wenn diese sich Bahn brachen, war meist alles zu spät. Eine nie gekannte Welle von Gewalt und Zerstörung breitete sich über der Stadt aus. Und die endete nicht nur mit weiteren Todesfällen, sondern führte auch dazu, dass er den verhältnismäßig kühlen Wagen verlassen und in die sengende Sonne hinaustreten musste.
    Mit einem weiteren Seufzer, der das Unvermeidliche aufschob, sank der Polizist in den Sitz zurück. Seine Hände kneteten das Lenkrad.
    »Also, was erwartet uns jetzt? «, fragte er mit einem Blick zur Seite.
    Stefan Wedding, sein langjähriger und jüngerer Partner, schlug ein schmales Notizbuch auf. Die aktuelle Seite war wie immer mit einem Gummiband gekennzeichnet. Er schob den darunter liegenden Kugelschreiber zur Seite.
    »Zwei Tote«, las er über das fauchende Gebläse hinweg vor. »Vermutlich Doppelmord. Eine Nachbarin hat sie gefunden und die Polizei verständigt.«
    Kellers Gesichtsmuskeln verhärteten sich. Den meisten Leichen sah man an, ob ihr Tod natürlich oder herbeigeführt war. Wenn so früh von Mord die Rede war, erwartete sie kein schöner Anblick.
    »Wie hat sie die Leichen gefunden?«, zögerte Keller den Moment des Aussteigens weiter hinaus. Seine Hände hatten inzwischen das Lenkrad losgelassen und waren in seinen Schoß gesunken.
    »Die Tür stand wohl offen.« Wedding klappte sein Notizbuch zu und warf einen Blick auf seinen Kollegen. »Vom Rumsitzen kommen wir nicht weiter. Je schneller wir draußen sind, umso eher sind wir wieder weg.« Ohne die Reaktion des anderen abzuwarten, stieß er die Tür auf. Augenblicklich umfing sie die sengende Hitze wie eine zweite, kochende Haut. Automatisch griff Wedding nach seinem Hemdkragen und zog die lockeren Enden weiter auseinander.
    Keller kam um den Wagen herum. Zwischen seinen dünnen, nach hinten gekämmten Haaren glitzerten Schweißperlen, und sein Hemd hatte in der kurzen Zeit angefangen, sich unter den Armen dunkel zu färben.
    Anstatt den gepflasterten Steinweg zu benutzen, gingen sie direkt über die gelbfleckige, vertrocknete Wiese. Ihr Ziel war das mittlere von drei im Bogen stehenden Hochhäusern. Die südwestliche Sonne ließ die Schatten der Monolithen nutzlos zur Seite wegkippen. Neben jedem Haus gab es eine umzäunte Gruppe von Müllcontainern. Ganz rechts außen außerdem ein metallenes Klettergerüst, das die Sonne weiß glühend reflektierte. Sollte jemand dumm genug sein, das Metall zu berühren, würde er sich augenblicklich die Hände verbrennen.
    Schwer atmend erreichten sie das Treppenhaus. Die Luft im Innern war zwar abgestanden, brannte beim Luft holen aber nicht mehr in den Lungen. Ein einzelner Tropfen rann zwischen Weddings Schultern hinab und versickerte in seinem Hosenbund. Es kitzelte leicht. Keller war nicht besser davon gekommen. Ein breiter dunkler Streifen zog sich senkrecht über seinen Rücken. Umständlich zupfte er den nassen Stoff von seiner nackten Haut, doch sobald er sich nach dem Fahrstuhlknopf streckte, klebte das Hemd wieder an ihm fest. Insgeheim war er froh, dass die Metalltür sein Spiegelbild nur schemenhaft zurück warf. Er war Anfang 50, und trotz des regelmäßigen Sports nagte der Zahn der Zeit an ihm. Sein Bauch stand zu weit vor, der Haaransatz zu weit zurück. Zu viel ungesundes Essen, Stress und unregelmäßiger Schlaf forderten ihren Tribut. Selbst unter normalen Umständen wäre er nicht in der Lage gewesen, den kompletten Weg nach oben die Treppe zu benutzen.
    Während sie auf den Fahrstuhl warteten, zog Wedding sein Handy hervor. »Wir sind am Wochenende übrigens gerade mit dem Zimmer fertig geworden«, verriet er mit einem Blick auf das Display, »gerade eben so. Die Ärzte sagen, es kann jeden Augenblick losgehen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Babyausstatter es in dieser Stadt gibt. Von den Online-Anbietern gar nicht zu reden. Und bei jedem Einzelnen bekommst du alles, was du brauchst. Am Ende bist du also genau so weit wie vorher.« Als wäre es eine Bestätigung piepte das Handy einmal auf. Zufrieden ließ es Wedding wieder in die Tasche sinken. »Wenn die ganzen Kataloge erst mal weg sind, glaube ich, haben wir eine viel größere Wohnung.«
    Keller nickte wissend, blieb aber stumm. Es gab nicht viel, was er aus seinem Privatleben erzählen wollte. Außerdem konnte er von diesen Dingen auch nichts berichten. Beziehungen waren seit Jahren kein

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