Am Anfang war die Nacht Musik
…
Ossine rief dazwischen, Das rabiate Fräulein solle sich beruhigen. Den Doktor, schnell!
Und sie erinnert sich, dass einer der Musiker aufmerksam wurde. Er sei Riedinger. Was denn hier los sei?
Dieselbe freundliche Stimme, die jetzt neben ihr sitzt und sagt, dass sie sich nicht an alles erinnern müsse. Es sei normal, den Schlaf zu vergessen.
Und sie: Sie wolle sich aber erinnern.
Ossine hatte behauptet, das Fräulein sitze, auch wenn es im Zuber so etwas wie Stammplätze nicht gebe, genau an dem Platz, an dem sie, Ossine, die letzten vierzehn Tage gesessen habe. Dort, zwischen Graf Pellegrini und dem kleinen Benjamin Kornmann.
Ce n’est pas un problème , hörte sie den Diskant einer Knabenstimme.
Und Riedinger. Dass das bestimmt keine böse Absicht gewesen sei. Eher ein Versehen, hatte er gesagt.
Ein Versehen aus Blindheit!, hatte Ossine die Stimme gehoben. Sie sei ja nicht so. Sie suche sich einen neuen Platz. Nur gesagt haben wolle sie es, sagte sie, um Maria nicht die Chance zu nehmen, daraus zu lernen.
Und der kleine Kornmann warf ein, sein Vater werde ihn abholen. In den nächsten Tagen. Vielleicht noch heute. Dann könne Jungfer Ossine seinen Platz haben.
Nein, vielen Dank, rief Ossine. Zum Fräulein, das nichts sieht, sei ein Sicherheitsabstand notwendig. Auch, weil sie, Ossine, sonst ständig dran denken müsse. Und das sei die Sache nicht wert.
Na dann sei doch alles bestens, sagte Riedinger.
Sie erinnert sich, dass sie nach diesem peinlichen Vorfall aufgestanden war. Und dass Riedinger meinte, sie solle ruhig sitzen bleiben.
Ja, sitzen bleiben, sagte Ossine. Zu spät sei zu spät. Sie verzichte auf den Platz. Maria könne ihn behalten.
Sie erinnert sich, dass sie unschlüssig war. Dass sie sitzen wollte, aber stehen blieb, während Ossine sich schräg gegenüber niederließ. Und dass sie lange so dastand. Und auch den kleinen Kornmann ignorierte, der flüsterte, Wenn sein Papa hier sei, könne die miese Jungfer was erleben. Sein Papa werde ihr die Leviten lesen.
Sie stand, bis die Musiker begannen, die Instrumente zu stimmen. Und alle Patienten ihre Plätze einnahmen. Sie erinnert sich, dass sie jedes Guten Morgen registrierte, die Stimmen in Gut oder Böse schied, in Freundlich oder Gleichgültig, und dass ihr klar war, wie haltlos diese Unterscheidungen waren. Sie erinnert sich, dass sie den Faden verlor. Und ihr Sätze durch den Kopf jagten. Und dass sie gespannt war, ob sie sie aussprechen würde.
Das ist mein Platz. Das spüre ich. Orte vibrieren. Und ich höre sie. Ich bin Musikerin. Und ich habe Ossine schreien hören. Zeterundmordio. Dafür gibt es auch Zeugen. Ossine hat geschrien wie am Spieß. Auch wenn sie selbst es nicht glauben will.
Als es ringsum still wurde und klar, dass sie keinen ihrer Sätze aussprechen würde, hatte sie sich auf den Stuhl sinken lassen. Ossines Vorwürfe standen im Raum. Mitten zwischen den fremden Menschen. Wieder ein verpasster Einsatz. Und der wie vielte schon, dachte sie, seit ihrer Ankunft? Ach wäre das Leben doch eine Fuge. Keine Stimme käme zu kurz.
Sie wunderte sich, dass alle schwiegen. Als bewirke das Sitzen im Kreis eine Magie, die die Münder schließt. Sie erinnert sich an eine letzte Störung. Eine allerletzte Nachzüglerin. Kleine schnelle Schritte, klappernde Schühchen im Frauen-Galopp. Angst, zu spät zu kommen. Etwas zu verpassen. Wo, bitte, sei Doktor Mesmer? Sie hatte gespürt, wie der Wind sich drehte und mit ihm die Köpfe.
Riedinger schickte die Nachzüglerin auf den letzten freien Platz. Der Doktor komme gleich. Sie erinnert das Zögern der Frauenstimme.
Sie habe mit dem Doktor zu sprechen. Wichtiges.
Wie bitte? Um was es gehe? Sie solle sich bitte setzen.
Sie wollte sich nicht setzen.
Worauf Riedinger auf Rückenbeschwerden tippte und sagte, es werde sich sicher eine Lösung finden.
Ja, sagte sie. Nein … er täusche sich. Sitzen, das sei nicht das Problem. Allein … hier, das sei es. Hier zu sitzen sei das Problem.
Sie erinnert sich an die Spannung im Raum.
Nicht … zu diesen … Leuten. Sie wissen ja nicht, wer ich bin, fügte sie hinzu.
Die Patienten tuschelten. Erst mit Mesmers Schritten und Stimme wurde es schlagartig still.
In diesem Haus gebe es nur einen Zuber, sagte er. Wer sich darin keinen Platz suche, finde auch keine magnetische Therapie.
Er wisse wohl nicht, wen er vor sich habe.
Das wisse er sehr wohl, und er freue sich, die Marquise von Müller zu begrüßen. Er bitte, Platz zu nehmen,
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