Am Anfang war die Nacht Musik
damit man beginnen könne.
Sie bestehe auf einen separaten Zuber!
Sie könne darauf bestehen, sagte er. Das werde aber nichts ändern. Es gebe keinen separaten Zuber.
Dann solle er einen einrichten, sagte sie. Einen für ihresgleichen. Standesgemäß.
Im Sommer werde er mehrere Zuber einrichten. Draußen, sagte er, im Park, unter den Bäumen. Dann habe sie die Wahl, in welchem Zuber sie sitzen wolle. Er könne ihr aber aus Erfahrung sagen, Bäume interessierten sich recht wenig für Herkunft. Bäume ließen jeden unter sich sitzen.
Ob Winter oder Sommer, drinnen oder draußen, sie werde sich keinesfalls zu solchem Pack setzen. Also?
Sie wartete. Alle warteten.
Nein, sagte Mesmer. Und wenn er fünf Zuber einrichte. Seine Antwort sei Nein.
Ob das sein letztes Wort sei.
Sein allerletztes.
Sie erinnert sich an das Rauschen, als habe die Dame ein Loch in die Luft gerissen, das sich nur langsam wieder schloss. Einige Patienten lachten, andere klatschten in die Hände. Als sie die Tür zuwarf, Stille.
Sie erinnert sich, dass sie unsicher war, was sie von dieser Szene halten sollte. Und froh, dass ihre Eltern nichts davon ahnten.
Sie hatte, wie alle anderen, darauf gewartet, dass der Doktor die Spannung zerreiße. Aber er zerriss sie nicht, er schob sie beiseite, wie man einen Vorhang beiseiteschiebt. Und dahinter kommt wieder ein Vorhang zum Vorschein. Und so weiter. Mesmer machte die Runde. Patient nach Patient. Flüsterte mit jedem. Das Flüstern baute eine neue Spannung auf. Und ihr fiel ein, wie sie manchmal draußen im Garten saß oder, wenn sie mit den Eltern Ausflüge machte, draußen in den Feldern, und glaubte, sie hörte die Blumen wachsen. Die Blumen, die Ähren. Ein Kornfeld, das in die Höhe schoss.
Er hatte ihr von hinten seine Hände auf die Schultern gelegt. Sie waren leicht und warm und machten ihre Schultern ebenso leicht und warm. Das Gefühl, als habe sie in Ketten gelegen, die jetzt an ihr hinabrutschten. Sie ließ sich fallen, alles, was sie im Moment war. Sie erinnert sich an den Wunsch, sich dies schon lange gewünscht zu haben. Seit dem ersten Händedruck. Nein, früher schon. Sie fühlte sich sicher. Der Raum schmiegte sich ihr an. Jetzt, hier. Ihr Ort. Einen andern gab es nicht. Wenn er jetzt noch nach ihren Augen fragte …
Wie sie geschlafen habe, wollte er wissen. Und wie sie sich fühle.
Sie flüsterte, Ausgezeichnet.
Er sah ihre Augen nicht. Er stand ja hinter ihr. Und ihr fiel ein, dass es dunkel war hier drinnen. Und dunkel heißt, die Menschen sehen nichts. Und wenn die Menschen nichts sehen, dann sind sie blind. Und blöd.
Sie ließ sich einen eisernen Stab in die Hand drücken. Damit solle sie berühren, was sich am unwohlsten fühle. Wo sie Schmerzen habe.
Schmerzen? Sie habe keine, hatte sie gemurmelt. Das war gestern. Heute hatte sie abgeschwollene Augen!
Aber er redete schon weiter: In den nächsten Tagen solle sie zur Einzelsitzung kommen. Er überließ sie dem Eisenstab.
In den nächsten Tagen. Also heute nicht. Morgen eher auch nicht. Übermorgen vielleicht. Oder der Tag danach. Aber sie wird ihm im Hellen begegnen. Sie wird sich so lange vor ihn hinstellen, bis er sie sehen muss. Sie probierte den Stab aus. Richtete ihn auf Brust, Bauch, Kopf. Auf ihr Herz. Und ihren Nabel. Auf ihre Armbeuge. Sie richtete sich auf. Senkte den Kopf. Kopf und Eisenstab. Augen und Eisenstab. Kehle und Eisenstab. Lauter lustige Paare, dachte sie und richtete ihn mal aufs rechte, mal aufs linke Auge. Stützte schließlich den Kopf drauf. Am Mittelpunkt zwischen beiden Augen, dort wo ihre Augenbrauen sich trafen. Spürte sie etwas? Einen Strahl, der aus dem Eisenstab herausspritzte. Auf die Augen. Angenehm kühl. Und ringsum eine Flüster-Stille – wie in der Kirche –, die erst mit Mesmers Ansage endete.
Alle sollten einander die Hände reichen. Und zusammenrücken. So dicht wie möglich. Und dann: Haydn!
Der Graf griff ihre Linke mit seiner haarigen Hand. Sie erinnert sich, dass sie kurz überlegte, auf welche Körperpartien er seinen Stab wohl gerichtet hielt, wo sein Schmerzpunkt war, und tippte auf den Bauch. Manchmal wären Augen nicht schlecht! Aber auch so spürte sie das empfindliche Gleichgewicht im Kreis.
Spüren Sie, spüren Sie es, der Graf kitzelte ihre Hand, da kommt es …
Was?
Die Welle …
Von dem kleinen Kornmann ein harsches Pssssst!
Dann erfasste die Welle die Gruppe. Ein sanftes Neigen, Heben, Fallen, Steigen. Maria glaubte, jedes Zucken zu spüren im
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