Am Anfang war die Nacht Musik
wenn sie ihm befiehlt, eine Schule zu gründen. Die Methode weiterzugeben. Werdende Ärzte einzuweihen. Sie zu bilden nach seinem Vorbild: sich selbst. Weil sie ihn für ein nachahmungswürdiges Beispiel der Menschheit hält. Er, der Mustermensch. Man wird ihn achten. Seine Schüler wird man Die Geistlichen der Gemeinde nennen. Die Pfarrerwerden sie vorstellen. Bis in die kleinsten Kirchsprengel. Und Mesmer wird Aufsicht führen über alles, was sich auf das Glück und die Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts bezieht. Er ist nicht nur Arzt. Er ist Lehrer, Ratgeber, Entscheider und Versöhner seiner Mitbürger. Und natürlich Bewahrer ihrer Gesundheit. An Mesmer kommt keiner vorbei. Er selbst am allerwenigsten.
Er hat noch kaum begonnen, da sprudelt Maria los. Glasklar und hell ihr Sopran.
Sie sei extrem wach. Seit gestern Morgen. Seit der Sitzung im magnetischen Zuber. Nichts, nicht das Geringste entgehe ihr. Und alles werde in ihrem Kopf Musik. Hören Sie die Tropfen, sagt sie. Die vielen schnellen Tropfen?
Der Schnee schmelze, sagt er. Wie langsam er spricht im Vergleich zu ihr. Gestern Vollmond, heute also Wetterwechsel, ein Wärmeeinbruch, Tauwetter …
Das Haus, unterbricht sie ihn, ein einziges Tropfenorchester. Aus allen Winkeln tropfe es, von allen Simsen und Vorsprüngen, und es tropfe auf alle Böden und rinne herab an den Wänden. Und sie säßen hier im Trockenen beisammen, und das mache sie so munter, sagt sie. Sie spüre es mit ihrem ganzen Körper, auf eine seltsame Art, wie sie es nicht kenne. Schon fast, sagt sie, quälend. Diese vielen Rhythmen aus allen Himmelsrichtungen. Langsam von dort hinten, schnell und immer schneller von da vorn. Und dort drüben ein ganz eigenes Stakkato. Mal Crescendo , mal Diminuendo .
Hinterm Haus sei Schatten, sagt Mesmer. Während vorne die Sonne den Schnee vom Dach brenne.
Eine Schnee-Oper, sagt sie. Aber was nützt das. Sie könne ja nicht mitschreiben. Könne höchstens mitspielen. Aber wie soll sie sich das Gespielte je merken. Alles verklingt. Ohne dass sie wisse, was es eigentlich gewesen sei, und worum sich’s gedreht habe. Das quäle sie. Erschöpfe sie. Diese verschwendete Entzückung.
Sie füllt sich und füllt sich. Immer wieder. Wie die Brüste einer Amme. Oder wie die Leber von Prometheus. Ihr Vater erzählte von ihm. Der den Menschen das Feuer gebracht hat.
Ihr sei plötzlich so warm, sagt sie. Die Wärme fließe herab an ihr. Wie wenn ich gewaschen werde, sagt sie. Ich wüsste so gern, wie das Wasser aussieht … Das so schön klingt. Und so sei wohl die Musik entstanden, sagt sie, und das Tanzen. Aus Schnee und Sonne und Wasser. Ob er das auch glaube? Und redet schon weiter. Während er an ihren Armen herabstreicht.
Ihr Vater sei da anderer Ansicht. Ihr Vater sage, die Gelehrten sagten, die Musik sei zusammen mit dem Tanz entstanden.
Und der Anfang sei ein empfindsamer alter Mann gewesen. Der habe ein junges Mädchen gesehen und dabei himmlische Gefühle bekommen. Er habe als Erster über dieses himmlische Gefühl nachgedacht. Das Mädchen sei mit Blumen in der Hand über eine Wiese auf ihre Mutter zugehüpft. Ein paar ebenso hübsche Jungs jagten hinter ihr her. Spielerisch versuchten sie, das Mädchen zu fangen. Das fand der Alte so vergnüglich, dass er es wieder und wieder sehen wollte. Er forderte die jungen Leute auf, ihr Spiel zu wiederholen.
Alle alten Männer, die zusahen, waren begeistert. Sie bewunderten und lobten die Jungen. Und aus der Freude amHüpfen und der Freude über den Beifall wuchs bei den Jungen eine natürliche Gier, sich immer neue Kapriolen auszudenken. Und immer noch besser zu singen. Und so seien allmählich Musik und Tanz entstanden. Und die Geschichte gehe weiter. Als nämlich die Griechen merkten, wie das Tanzen den Körper stärkt, ihn leicht und anmutig macht, mussten ihre jungen Leute zu allen Anlässen tanzen und singen. Und sie entwickelten auch Waffentänze und Kriegsmusik.
Sie macht eine kleine Pause. Mesmer, der ihr gebannt zuhört, merkt, dass seine Hände in ihren Armbeugen stehen geblieben sind. Langsam streicht er weiter.
Die Sibariten waren ein Volk, das sich vor allem in der Pferdezucht sehr gut auskannte. Sie waren so tanzbegeistert, dass sie auch ihre Pferde tanzen lehrten. Dies allerdings zu ihrem größten Schaden. Denn die Cretonienser, mit welchen sie in Streit gerieten, hatten heimlich die Musik ihrer Pferde-Ballette belauscht. Und als die sibaritischen Reiter sie angriffen,
Weitere Kostenlose Bücher