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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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Wichtigste vor ihnen, den Eltern, geheim gehalten werde, die war ernst gemeint. So ernst, dass der Doktor sich übertrieben munter gab, um nicht von vornherein den Tag mit zwei vor den Kopf Geschlagenen zu beginnen.
    Mit Licht sei nicht zu spaßen, sagte er, als gäbe es nichts Einleuchtenderes. Es müsse gut dosiert sein. Genau dosiert. Sonst schade es mehr, als es nutze.
    Und wo ist deine schöne Perücke?, fragte die Mutter.
    Die Perücke habe sie verbannt, sagte Maria. Sie sprach leise, als sei sie sich nicht sicher.
    Das gab ihrer Mutter die Sicherheit zu einem lauten und deutlichen: Warum das denn?
    Weil sie monströs sei.
    Und wie sie dann das da auf ihrem Kopf nenne, ein … Der Mutter fehlte die Phantasie.
    Dem Vater nicht, … zerhacktes Stoppelfeld, sagte er, … dieser verhagelte Rebhain. Ein scheußlicher Anblick. Ob man das nicht abdecken könne, ihm zuliebe.
    Und Kaline huschte hinaus und wieder herein, und Maria spürte wie einen Luftzug an ihrer Wange das Seidentuch, das Kaline ihr dann um den Kopf band.
    Schon besser, sagte der Vater gequält, aber mit einem Oberton ins Überschwängliche.
    Das kennt sie. Hat man ihm unrecht getan, signalisiert seine Stimme nichts als den Wunsch, ihn doch jetzt bitte zu entschädigen, ihn doch jetzt bitte mit irgendetwas mitzureißen, am besten mit Musik.

    Was wirst du uns spielen?, sagt er, obwohl er es weiß.
    Ich werde das Haydn-Konzert spielen, hört sie sich sagen.
    Ach, sagt er, wirklich?
    Ja, hört sie sich sagen, den Haydn.
    Und dabei fällt ihr die Handvoll Schnee ein, die sie neulich zur perfekten Kugel formte. Aus purer Lust am Winter und dem Schmelzen in der Hand. Sie hatte die Kugel so lange durch den verschneiten Garten gerollt, bis sie größer und schwerer war als sie selbst. Ein massiger, unförmiger Klumpen, nicht mehr von der Stelle zu bewegen.
    Alle drei Sätze, sagt sie. Und glaubt sich nicht. Kein einziges Wort. Glaubt, was sie sich nicht sagen hört. Ich kann jetzt nicht spielen. Etwas hat sich verschoben. In mir. Keine Ahnung, was. Etwas zwischen Fingern und Augen und Ohren. Eine Art Umordnung. Die Hände funktionieren. Die Ohren. Die Augen. Aber zusammen addiert sich nichts. Eins subtrahiert sich vom andern. Und nichts bleibt übrig.
    Außer Angst. Und Angst vor der Angst. Und zitternde Hände. Lächeln und Schweigen. Verlächelt, verlogen. Das ist sie.

    Es war falsch, den Eltern zu erklären, warum sie die Perücke nicht trägt.
    Die Perücke mache ihren Kopf klein. Klein wie eine Erbse unter einem Berg verstaubter Daunen. Warum ihr das keiner je gesagt habe?
    Weil es nicht wahr sei, sagte die Mutter.
    Und wenn schon, hatte der Vater gesagt und hatte wissen wollen, wie sie darauf käme.
    Sie habe, sagte sie, vor dem Spiegel gesessen. Ziemlich lange, sagte sie. Und ziemlich intensiv. Sie seien Freunde geworden. Der Spiegel, das Bild und sie.
    Das war falsch. Der Vater verachtet Spiegel.
    Kaum lasse man seine Tochter aus dem Haus, versündige sie sich. Jahrelang habe er Zeit in sie investiert und beste Lektüren. Allen voran, das Buch aller Bücher. Und kaum sei sie aus dem Haus, lasse sie sich die Eitelkeit auf der Nase herumtanzen. Ob sie finde, dass es recht sei, sich im Spiegel anzustarren. Sie solle die Tastatur anstarren, das lohne wenigstens.
    Aber er irrt sich.
    Mesmer musste versprechen, sie künftig von Spiegeln fernzuhalten. Und er tat es. Sonst hätte der Vater sie mitgenommen, auf der Stelle. Dass Mesmer das tat, anstatt sie zu verteidigen, das nimmt sie ihm übel. So übel wie ihre Mutter nahm, dass sie auch die schöne Haube nicht trug.
    À la Matignon . Der letzte Pariser Schrei. Eigens für sie importiert.
    Sie steht mir nicht, hatte Maria geantwortet.
    Ihre Spiegel-Weisheiten stünden ihr noch weniger.
    Der Vater klang, als hätte sie noch nie etwas so Schlimmes getan.
    Da Mesmer nichts sagte, musste sie sich selbst verteidigen.
    Ich weiß nicht, hatte sie gesagt, wozu ich dieses schwere, unbequeme Zeug tragen soll. Es hat keinen Vorteil. Es bringt nichts. Es ist nicht einmal schön.
    Schön. Das brachte den Vater zum Lachen.
    Ob sie wisse, wovon sie rede. Für sie genüge es, ordentlich auszusehen.
    Und der Mutter, die seinen Ton sofort übernahm, fiel auf, dass sie auch das Kleid nur zur Hälfte trage. Der Schnürleib fehle, der ihrem deftigen Bau die zierliche Gestalt verleihe, etwas Eleganz. Und die lange Schleppe?
    Die Schleppe macht mich traurig, hatte sie gesagt. Sie könne sich in solchen Kleidern nicht frei

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