Am Anfang war die Nacht Musik
mindestens so viele Ärzte wie Musiker. Störck und Konsorten.
Wenn Anna ablehnte, erschraken die Leute. Dann scherzte sie mit ihnen. Wie sie neuerdings mit dem Hund scherzte. Und mit den Hühnern, wenn sie über den Hof zum Stall ging. Dem Kutscher Bescheid zu sagen. Frau Doktor wolle in die Stadt. Zum Schneider. Nach Wien. Zu Störck. Oder ihre Freundin besuchen. In der Augartenstraße.
Und wenn sie wiederkam, brachte sie neuerdings für jeden etwas mit. Für Maria eine Hina ningyo , eine kleine japanische Puppe in knallroter Seide. Die Hina schütze Maria, wo immer sie sei. Schokolade für Kaline. Ein Amulett für den Grafen. Eine Muschel für die Köchin. Handschuhe für den Kutscher. Einen Knochen für den Hund. Und immer wieder Knöpfe. Perlmuttene mit gelben Steinen in der Mitte. Aus der Knopffabrik am Kohlmarkt. Natürlich auch Zeitschriften. Schreibfedern. Zeichenpapier. Einen Bleistift und die neueste Erfindung: einen Radiergummi für Mesmer. Was er schreibt und zeichnet, kann er nun »weg-radieren«. Vom Papier. Nicht wie in seinem Leben. Aus dem er nichts wegradieren kann. Auch wenn er, was nun folgt, gern wegradieren würde.
Dass Anna, seit jenem Fest, überhaupt nicht mehr aus ihrer guten Stimmung erwacht, missfällt ihm. Ihre mit Hektik vermischte Tüchtigkeit. Wie sie in der Küche steht. Schon wieder lacht. Kaffee brüht, was sie sonst nie gemacht hat. Die heiße Kanne zum Tisch trägt. Kaline zu sich bittet, ihr eine Tasse eingießt und eine dem Grafen und eine dem Kutscher. Wie sie die Bediensteten bedient. Mit frischem Kuchen. Die Frau eines Bürgers bäckt einen Kuchen. Dagegen ist nichts zu sagen. Außer, dass es neu ist. Neu und scheinbar nicht mehrabzustellen. Neu, wie sein Blick. Der zum Spürhund wird. Anna aufspürt, wie sie Tabakkrümel vom Tisch wischt. Krümel, die der Graf übersah, als er versuchte, den Inhalt seiner zerkratzten Dose in die kostbare hinüberzuschütten, die Anna ihm geschenkt hat. Und diese frische Freude in seinem Gesicht. Und Kaline, die zwischen Daumen und Zeigefinger die Fransen eines feinen Tuchs zwirbelt, das Mesmer bekannt vorkommt. Weil es bisher Anna gehörte. Und das neuerdings um Kalines Schultern liegt wie eine Satire dessen, was sie sonst trägt. Sein Suchblick wandert den Kutscher ab, dem eine viel zu teure Meerschaumpfeife aus dem Mundwinkel ragt. Ihn grüßend senkt der Kutscher den Blick.
Bevor Anna etwas sagen kann, murmelt Mesmer, sie müsse verrückt sein.
Verrückt, sagt sie lächelnd. Oder einfach großzügig.
Ob sie den Unterschied kenne zwischen großzügig und verschwenderisch.
Fang nicht wieder an, sagt sie und dreht sich weg. Heute sollen alle etwas davon haben.
Von was, will er wissen. Von was sollen alle etwas haben?
Von unserem Erfolg, sagt sie.
Unserem?, sagt er.
So wie es läuft, läuft es prima, sagt sie. Zusammen schaffen wir es. Ob er das nicht finde. Warum er sich nicht einfach freuen könne?
Sie schiebt ihm eine Ausgabe der Berlinischen privilegierten Zeitung hin.
Nur für den Fall, dass er je wieder an sich oder seiner Arbeit zweifle.
Unter Brief aus Wien ist da ein Schreiben des Hofsekretärs Paradis abgedruckt. Es sprüht vor Freude über die unerwartete, unerwartet schnelle Heilung seiner für unheilbar geglaubten Tochter. Sich gegen diese Jubeltöne auch noch zu wehren wäre selbstschädigend. Mesmer lässt sich mitreißen.
Auch Herr von Störck liest preußische Blätter. Und die Kaiserin. Von Kaunitz sowieso.
Gratulation, sagt Anna. Er habe es geschafft. Jetzt wisse Berlin von ihm und seiner Methode. Das sei ein internationaler Durchbruch. Von nun an hätte er auch Patienten in Preußen.
Sie sei mit ihrem Lob so verschwenderisch wie mit ihrem Geld, sagt er. Was nütze ihm Preußen. Er sei vom Bodeensee, also Alemanne. Und lebe in Wien. Was solle er in Berlin. International, das sei Paris und nicht Berlin. Und überhaupt sei es bedauerlich, dass es nicht in der Wiener Allgemeinen stehe. Am liebsten hätte er den Brief abgeschrieben. Ihn an all seine Gegner verschickt. Wie oft hätte er ihn abschreiben müssen!
Aber es ist ja nicht nötig. In den meisten Wiener Kaffeehäusern liegen Zeitungen aus. Und nichts auf der Welt ist groß genug, dass es in Wien nicht kleingetratscht würde. Und überhaupt. Zum Kotzen, wie abhängig er ist von Worten. Und noch von gedruckten. Anna schenkte Kaffee nach. Stellte Teller um Teller vor ihn hin. Überladen mit Wild- und Geflügelpasteten, Käse, Dörrobst und
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