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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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möchten keine neuen Auseinandersetzungen mit den Studenten.»
    «Mit anderen Worten: Sie möchten, dass ich stillschweigend verschwinde.»
    «Nein.»
    «Nein?»
    «Da das Semester bereits begonnen hat, werden einige Ihrer Freunde unter den Studenten möglicherweise vermuten, dass man Ihnen den Rücktritt nahe gelegt hat, und darum die Untersuchung des Falls verlangen – also das, was wir gerade vermeiden möchten.»
    «Und was schlagen Sie vor, Dean Hanbury?»
    Millicent Hanbury, die sich nun der Situation wieder gewachsen fühlte, nahm das Wollknäuel auf und begann zu stricken. «Sie haben einen Einjahresvertrag, der Ende dieses Semesters abläuft. Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihren Vertrag erfüllten – allerdings mit dem gegenseitigen Einverständnis, dass er nicht erneuert werden wird.»
    «Und wo ist der Haken?»
    «Es gibt keinen Haken, Professor Fine. Aber als Rückversicherung, dass Sie Ende des Semesters ohne Widerstand gehen, bitte ich Sie, dieses Schriftstück zu unterzeichnen. Es ist Ihre Bestätigung, Miss Dunlop vorzeitig die Examensfragen gezeigt zu haben. Ich werde sie in einem versiegelten Umschlag in mein Safe legen, und damit ist das abgeschlossen.»
    Im Zimmer war nur das Klicken der Stricknadeln zu hören. «Was verstehen Sie unter ‹abgeschlossen›?»
    «Genau das», sagte sie. «Wir sind bereit, nicht mehr daran zu rühren, wenn Sie es auch sind. Wenn Ihr Vertrag abgelaufen ist, werden Sie Windemere verlassen, und dieser Umschlag wird vernichtet oder Ihnen zurückgegeben.»
    «Und wie bekomme ich eine neue Anstellung?»
    «Wir werden uns in keiner Weise einmischen», versicherte sie ihm.
    «Ich möchte das gern klarstellen, Miss Hanbury. Wenn ich dieses Schriftstück unterschreibe, legen Sie es fort und sagen nichts. Sie erwähnen nichts davon, wenn ich mich anderswo um eine Stellung bemühe und man Sie um Referenzen bittet?»
    «Wir werden den Inhalt dieses Briefes nicht erwähnen. Wir werden streng nach der Form verfahren und Ihre Beurteilungsschreiben kommentarlos weitergeben. Ich glaube, Professor Bowdoin hat Ihnen vor seiner Pensionierung ein solches gegeben?»
    «Sogar ein vorzügliches.»
    «Und wie ist die Beurteilung der Studenten?»
    «Ebenfalls vorzüglich. Aber was ist mit Hendryx?»
    «Er ist nur kommissarischer Leiter Ihrer Abteilung und wird daher nicht um eine Beurteilung gebeten werden.»
    «Also gut. Geben Sie mir das Blatt. Ich werde es unterschreiben.» Er nahm den Stock in die linke Hand und holte aus der Brusttasche einen Füller. Er warf einen Blick auf den kurzen, getippten Absatz und setzte zur Unterschrift an, als ihm noch etwas einfiel. «Was ist mit Miss Dunlop?»
    Dean Hanbury lachte leise auf. «Oh, über sie machen wir uns keine großen Gedanken. Sie hat trotz des A nur mit Ach und Krach bestanden. Und nach ihren übrigen Noten zu urteilen, glaube ich kaum, dass sie das Rennen bis zum Ende durchsteht.»
    5
    Seit seine Frau vor drei Jahren gestorben war, lebte Präsident Macomber ein einsames Leben in seiner großen Dienstvilla, die von seiner tüchtigen, aber langweiligen Haushälterin, Mrs. Childs, in Ordnung gehalten wurde. Nach außen hin führte er ein aktives, geselliges Leben, ging zwei-, dreimal in der Woche abends zu Treffen, Konferenzen oder offiziellen Dinners. Einmal im Jahr lud er alle Lehrer des College zu sich ein; es gab Sherry, Gebäck und Käse, Kaffee und Kuchen, überwacht von Mrs. Childs, die von einer Mannschaft aus der Collegekantine unterstützt wurde. Ebenfalls einmal im Jahr lud er die Mitglieder des Kuratoriums zum Abendessen ein. Das Dinner wurde von einem Restaurant geliefert – sehr zum Leidwesen der wackeren Mrs. Childs, die das als eine persönliche Zurücksetzung betrachtete.
    An den Abenden, die er zu Hause verbrachte, las er nach dem Essen die Zeitung, ein Buch oder sah fern. Um zehn Uhr pflegte Mrs. Childs mit dem Tee aufzutauchen, den sie auf dem Tisch neben seinem Sessel servierte, ihm eine gute Nacht wünschte und sich in ihre Räume hinter der Küche zurückzog. Meistens blieb er dann bis zu den Elf-Uhr-Nachrichten auf und ging danach zu Bett.
    Kurz vor Beginn des Herbstsemesters rief Macombers Tochter Betty aus Reno an, um die frohe Botschaft ihrer vollzogenen Scheidung zu verkünden, und dass sie mit dem nächsten Flugzeug eintreffen würde. Er gab sich freundlichen Träumen hin, dass sich nun alles ändern werde. Jetzt würde jemand da sein, mit dem er beim Frühstück und Abendessen sprechen konnte. Vielleicht

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