Am Dienstag sah der Rabbi rot
letztes Jahr gehört und nicht mal die Abschlussprüfung gemacht. Der Rabbi hat ihn eine Fünfhundert-Wort-Arbeit schreiben lassen und ihm ein B gegeben.»
«Ja, aber Berenson hat jedes Mal die Jarmulke auf dem Kopf gehabt», sagte Henry Luftig, ein kleiner, dünner, eifriger junger Mann mit einer hohen, knochigen Stirn unter einer pechschwarzen Mähne. «Wahrscheinlich hat der Rabbi gedacht, er wüsste sowieso alles.»
«Jarmulke? Ach, du meinst diesen kleinen schwarzen Glatzendeckel? Okay, wenn das die Garantie für ein B ist, setze ich auch die Jarmulke auf.»
«Mann, ich kann’s kaum abwarten.»
Lillian Dushkin kicherte: «Wer weiß, vielleicht siehst du richtig süß damit aus.»
«Du, Lil», sagte Aaron Mazonson, «ich hab gehört, dieser Rabbi Lamden war ziemlich scharf. Ein Mädchen braucht sich nur in die vordere Reihe zu setzen und ihm schöne Augen zu machen, und schon hat sie ihr A.»
Ein jüngerer Student mischte sich ein. «Dieses Jahr ist es gar nicht Rabbi Lamden; es kommt ein anderer.»
«Woher weißt du das?»
«Vom Einschreiben. Mein Tutor hat es gesagt, als ich ihm mein Studienprogramm gezeigt hab.»
«Im Verzeichnis steht aber Rabbi Lamden.»
«Ja, weil es erst im letzten Moment geändert worden ist.»
«Na großartig!», rief Shacter entrüstet. «Das fehlt mir gerade noch. Meine einzige gemütliche Vorlesung! Und jetzt kriegen wir einen Neuen, der uns erst mal beweisen wird, was für ein harter Bursche er ist.»
«Also lassen wir ihm die Luft ab», sagte Luftig grinsend.
Shacter dachte darüber nach, grinste ebenfalls und sagte: «Recht hast du. Wir lassen ihm die Luft ab.»
Die Straße stand voll von Autos, und auf den breiten Steinstufen des Verwaltungsgebäudes wimmelte es von Studenten, sodass Rabbi Small sich im Zickzack bis zur Tür vorarbeiten musste. Im Haus, in der Marmorrotunde, standen Scharen von Studenten um Tische herum, auf denen große Schilder standen: HELFT EUREM COLLEGE – Kauft Sportkarten – Gültig für alle sportlichen Ereignisse. ABONNIERT THE WINDRIFT – Eure Zeitschrift! WERDET MITGLIEDER – Drama-Club. BETEILIGT? Kommt in die Democratic Party. ENGAGIERTE STUDENTEN kommen zum SDS. HÖRT DIE WAHRHEIT – kommt in die Socialist Study Group.
«He! Bist du ein Freshman? Dann musst du zu den Sportveranstaltungen. Unterschreib das!»
«Sandra! Kommst du dieses Jahr wieder in den Drama-Club?»
«Hier hast du ein Freiexemplar von The Windrift .»
Der Rabbi schaffte die Treppe, die zu seinem Büro führte, ohne etwas zu kaufen, etwas zuzusagen oder zu unterschreiben. Froh und erregt über den ungewohnten Trubel, blieb er vor dem Vorlesungsraum stehen, um Luft zu schnappen.
Achtundzwanzig Studenten waren anwesend; die ihm vor ein paar Tagen zugesandte Hörerliste enthielt dreißig Namen. Er stieg auf das Podest und schrieb an die Tafel: Rabbi David Small, Jüdisches Denken und Jüdische Philosophie. Dann sagte er: «Ich bin Rabbi Small. Ich halte diese Vorlesung an Stelle von Rabbi Lamden, der im Vorlesungsverzeichnis genannt ist.»
Harvey Shacter blinzelte Lillian Dushkin zu und hob müde die Hand. Der Rabbi nickte.
«Wie reden wir Sie an? Professor oder Doktor?»
«Oder Rabbi?» Das kam von Henry Luftig.
«Oder David?», fragte Lillian süß.
«Ich bin weder Doktor noch Professor. Rabbi ist ganz richtig.» Er warf Miss Dushkin einen strengen Blick zu und fuhr fort: «Dies ist eine einsemestrige Vorlesung, und unser Gebiet ist sehr umfangreich. Wir können nur hoffen, ein gewisses Verständnis für die Grundprinzipien unserer Religion und ihre Weiterentwicklung zu erlangen. Wenn Sie Gewinn aus dieser Vorlesung ziehen wollen, müssen Sie sehr viel lesen. Ich werde Ihnen von Zeit zu Zeit Bücher nennen, und ich hoffe, Ihnen innerhalb der nächsten zwei Wochen eine vervielfältigte Liste mit Literaturangaben geben zu können.»
«Ist das Pflichtlektüre?», fragte ein erschütterter Harvey Shacter.
«Einiges werden Sie lesen müssen, anderes ist mehr ein Begleittext. Wir beginnen mit der Lektüre der Fünf Bücher Mose und der Thora, den Grundlagen unserer Religion. Ich erwarte, dass Sie das in den nächsten zwei bis drei Wochen gelesen haben, und werde dann eine einstündige Prüfung abhalten.»
«Das ist aber furchtbar viel», protestierte Shacter.
«So viel ist das gar nicht. Ich erwarte auch kein intensives Studium. Lesen Sie es wie einen Roman.» Er hielt ein mitgebrachtes Exemplar des Alten Testaments hoch. «Sehen wir mal nach. In dieser
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