Am Ende der Angst
Sie schossen auf sie!
Sie lief und lief. Tränen rannen über ihr Gesicht, sie schluchzte vor Schmerzen und Angst. Um sie herum zerfetzten Schüsse Äste und Stämme und stoben den Waldboden auf. Eine Kugel traf sie ins Bein. Doch die Frau gab noch nicht auf. Hinkend und schluchzend lief sie durch den Wald, bis eine dritte Kugel ihre Schulter zerschmetterte. Sie fiel auf den Boden, rappelte sich aber wieder auf. Mühsam schleppte sie sich durch das Gestrüpp. Das Blut lief ihren Körper hinunter und tropfte auf den Waldboden. Die nächste Kugel nahm ihr die Hand, eine weitere traf ihre Hüfte. Jetzt kam sie nicht mehr hoch. Sie schrie und kroch den Boden entlang. Durch die Bäume hindurch glaubte sie, Lichter zu sehen. Es war nicht mehr weit, bis sie in Sicherheit war! Ein nächster Schuss riss ihr Ohr ab. Sie spürte die Schmerzen kaum noch. Ihr Herz raste in letzter Verzweiflung, bis sich ein großer Schatten vor ihr aufbaute. Er legte das Gewehr zum Gnadenschuss an. Dann war es vorbei.
Bissspuren
Als der Anruf kam, lagen Fiona und ich noch im Bett.
Das Handy piepste und surrte auf dem Nachttisch, bis Fiona schlaftrunken danach griff und antwortete.
»Aha. In Ordnung. Gut. Ich bin gleich da«, hörte ich sie sagen, bevor sie auflegte und sich im Bett aufsetzte.
»Dienstlich?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wusste.
»Es wurden Knochen im Zoo gefunden.«
»Im Löwenkäfig vielleicht?« Das sollte ein Witz sein, doch der ging gründlich daneben.
»Ja, im Löwenkäfig«, antwortete Fiona, während sie sich aus dem Bett schälte. »Ein Mitarbeiter wollte heute Morgen den Stall säubern und ist dabei auf einen Knochen gestoßen, bei dem er vermutete, dass er von einem Menschen stammen könnte. Er hat die Polizei gerufen, die den Verdacht bestätigt hat.«
»Verdammt. Da gingen gestern wohl mehr Besucher rein als wieder raus.« Der Witz kam besser an. Fiona lächelte, wurde aber schnell wieder ernst.
»Ich muss mich beeilen. Der Zoo ist für den Besucherverkehr geschlossen, bis die Sache geklärt ist.«
Ich sprang auf. »Ich komme mit.«
Ich hatte heute einen freien Tag und wollte mich vom Fall der toten Nutte ablenken. Da gab es doch wohl nichts Besseres als ein paar menschliche Knochen im Löwenkäfig.
»Das geht nicht«, widersprach meine Freundin, doch ich wiegelte ihren Einspruch ab. »Du willst doch immer, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen, das wäre jetzt eine Gelegenheit. Ich war lange nicht mehr im Zoo.«
Sie sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Wie soll ich das meinem Chef erklären, dass ich dich einfach mitbringe? ›Mein Kleiner möchte so gerne die Tierbabys streicheln.‹ Das wird der nicht witzig finden.«
»Ich sage ihm, dass ich an einem Fall einer vermissten Person arbeite. Man muss alle Eventualitäten abklären. Auch den Löwenkäfig.«
Fiona seufzte, nickte jedoch.
Nur eine halbe Stunde später saßen wir im Auto und fuhren zum Zoo.
Vor dem Tor hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die murrte, weil sie nicht hinein durfte. Es war noch relativ früh am Morgen, aber über schwächelnde Besucherzahlen musste sich der Zoo im Sommer nicht beschweren. Eine Schulklasse tobte um das abgesperrte Kassenhäuschen herum, einer der Jungs versuchte, mit Hilfe einer Räuberleiter seiner Klassenkameraden über die Mauer zu schauen. Oder ganz darüber zu klettern. Etwas weiter entfernt auf dem Rasen vor dem Gelände saß eine Gruppe Jugendlicher, die rauchend auf ihren mitgebrachten Rucksäcken lungerte. Auch ein paar Familien waren da, deren Kinder ungeduldig quengelten und ihre Eltern nervten.
Bis auf die Jugendlichen bedachten uns alle mit neidischen Blicken, als wir dem Beamten am Tor unsere Ausweise zeigten und hineingelassen wurden.
Drinnen erwartete uns ein nahezu gespenstisch anmutendes Gelände. Ich war noch nie außerhalb der Öffnungszeiten in einem Zoo oder Tierpark gewesen. Es war ohnehin viele Jahre her, dass ich einen Zoo besucht hatte, aber damals waren die Wege voll gewesen, die Tiere genervt von den Besuchern und es wimmelte nur so von Kindern. Heute sah alles ganz anders aus. Die Wege waren leer. Die Tiere musterten uns neugierig oder liefen aufgeregt auf und ab, als wüssten sie, dass heute etwas völlig anders war. Eine Hyäne brüllte, als wir ihren Käfig passierten, was wie ein Warnschrei an ihre Kumpel klang. Ein Affe streckte uns seine Hand entgegen, als würde er unsere Hände schütteln und uns einen »Guten Tag« wünschen wollen.
Als
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