Am Ende der Angst
wir am Löwengehege ankamen, erwarteten uns mehrere Beamte darin und davor. Löwen waren keine zu sehen.
Vier Männer von der Spurensicherung krochen auf allen Vieren durch den Staub und untersuchten das Gelände nach weiteren Knochensplittern.
»Habt ihr noch mehr gefunden?«, fragte Fiona Burt, der am Zaun stand und den Kollegen bei ihrer Suche zusah. Er nickte mir zu, als er mich erblickte.
»Ja, ein paar Teile fehlen noch, aber es kommt wohl ein ganzer Mensch zusammen.«
»Weiß man schon, wer es sein könnte? Wurde jemand vermisst gemeldet, der gestern im Zoo war?«
»Nein. Immerhin sagte Doug von der Spurensicherung, dass es keine Kinderknochen wären.«
»Zum Glück.«
Ich dachte an die Kinder vor dem Tor. Was würden die Eltern tun, wenn ein Kind im Löwenkäfig verschwand? Kein Gedanke, den man gerne zu Ende dachte.
»Wo sind die Tiere jetzt?«
»Im Haus bei den Tigern. Allerdings getrennt, damit sie sich nicht gegenseitig zerfleischen. Bei den Tigern und Leoparden muss aber auch noch nach Knochen gesucht werden. Wer weiß, was sich da noch so alles findet.«
»Wer hat die Knochen entdeckt?«
»Eine gewisse Joanna Rowlins. Sie wurde schon mit dem Krankenwagen abtransportiert. Sie stand unter Schock.«
»Wer ist für die Löwen verantwortlich?«
Burt sah in seine Aufzeichnungen. »Ein Mann namens Paul Soderman, er wird gerade von Jack verhört. Sein Assistent hat Spätschicht, der kommt erst später.«
Er deutete mit dem Kopf zu einem Beamten, der am Zaun stand und mit einem hageren, älteren Mann sprach.
Ich ließ Fiona mit Burt allein und ging auf die beiden zu.
Paul Soderman wirkte nur leicht verstört. »Ich kann es mir nicht erklären«, sagte er kopfschüttelnd. »Wir prüfen das Fleisch, bevor wir es verfüttern. In diesen Lieferungen sind normalerweise auch keine Knochen mehr dabei. Ich kann mir das wirklich nicht erklären.«
Mir gefiel nicht, wie er sprach. Er gab sich zu viel Mühe, überzeugen zu wollen. Doch seiner Stimme fehlte etwas, die Tiefe. Lügner konnte man meist daran erkennen, dass ihre Aussage oberflächlich klang. Das Herz oder der Körper, die uns überzeugend klingen lassen, fehlten bei einer unwahren Antwort. Jedenfalls traf das auf die meisten Menschen zu, außer sie waren Schauspieler oder trainierte Lügner. Dann war es schwieriger, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Paul Soderman war weder das eine noch das andere. Er belog den Beamten offensichtlich und war nicht gut dabei. Er sah den Beamten kaum an, sondern sein Blick schweifte ständig ab. Immer wieder griff er sich in die Haare oder kratzte sich im Gesicht. Er war nervös. Aber ich war offenbar nicht der Einzige, dem das auffiel. Auch Jack, der Beamte, der ihn verhörte, war darauf aufmerksam geworden.
»Warum sagen Sie uns nicht, was wirklich passiert ist?«, fragte er. »Sonst müssen wir Sie mit aufs Revier nehmen.«
»Ich kann es mir nicht erklären, wirklich nicht«, wiederholte Paul. »Vielleicht war es schon in der Lieferung drin. Oder jemand ist in der Nacht eingebrochen.«
»Wer hatte Nachtschicht?«
»Rick, Richard Adams. Er ist mein Assistent und kommt erst am Nachmittag.«
»Wo finden wir ihn? Kennen Sie seine Adresse?«
Paul wusste sie nicht, und Jack machte sich eine Notiz in sein kleines Büchlein, in dem er immer alle Fakten notierte. Dabei war ich mir sicher, dass schon längst ein Beamter zu Richard Adams unterwegs war.
Paul wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn. Dabei rutschte sein Overall etwas nach oben und ich erhaschte einen Blick auf einen Flaschenkopf, der aus der Tasche hervorlugte. Dann fiel es mir auch auf: geplatzte Äderchen in der Nase, glasige Augen, aufgedunsene Augenlider. Paul Soderman trank, und das nicht zu wenig. War er deshalb so nervös?
Jack hatte jetzt jedenfalls die Faxen dicke und machte dem Mann unmissverständlich klar, dass er mit aufs Revier musste.
Ich ließ die beiden alleine und ging durch ein kleines Türchen an der Seite in das Innere des Geheges, wo ich auf einen der Jungs von der Spurensicherung zusteuerte.
»Wie sieht's aus?«, fragte ich den Mann, der auf allen Vieren kroch und den Staub nach weiteren Knochenteilen untersuchte. Er war noch jung, asiatisch aussehend und sehr akribisch vorgehend. »Etwas Auffälliges gefunden?«
»Etwas Auffälligeres als Menschenknochen? Nein.«
Ich verzog den Mund zu einem halben Lächeln. »Ich meinte Waffen, eine Armbanduhr am abgenagten Handgelenk oder etwas in der Art, was bei der
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