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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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etwas ähnlich Exotisches bekommen würde. Dieses unerwartete Geschenk war der Beginn einer intensiven Freundschaft, die bis zum Tode Benthams 1991 anhielt.
    Finchams goldene Fichte stammte aus derselben Generation wie jene, die Roy Taylor für die UBC -Sammlung erworben hatte (ebenfalls von Bentham), und genau wie die anderen ist sie verkrüppelt, plagiotrop und hat noch nie Zapfen produziert, ist ansonsten aber völlig gesund. Sogar die Grenzüberquerung nach Washington State hat sie überstanden und lebt nun auf Finchams Plantage neuer Koniferen, die tausendvierhundert Koniferen-Zuchtvarianten aus aller Welt umfasst. Eine Reihe dieser Exemplare sind goldfarben (es gibt von vielen Koniferenarten goldfarbene Zuchtvarianten), doch laut Fincham leuchtet keine von ihnen so intensiv wie jene, die er »Bentham’s Sunlight« nennt. »Die Leute bemerken sie schon von Weitem«, so seine Frau Dianne, »und wollen sie aus der Nähe sehen.«
    Die Finchams sammeln nicht nur seltene und ungewöhnliche Koniferen, sie verkaufen sie auch, und da Bob Finchams grüner Daumen sich auch beim Pfropfen auszeichnet, kann er Bentham’s Sunlight schon seit mehr als zwanzig Jahren still und leise in die ganze Welt verschicken. Stecklinge dieses Baums wachsen nun unter anderem in Schweden, den Niederlanden, Australien, Neuseeland, Süd korea und in den gesamten Vereinigten Staaten. Der aktuelle Preis für einen Pfropfen in einem 1-Gallonen-Topf beträgt 40 US-Dollar plus Versand. Doch in letzter Zeit ist der Wettbewerb härter geworden, sodass einer der Abnehmer Finchams, die Collector’s Nursery of Battleground, Washington, auf seiner Website wie folgt wirbt:
    PICEA SITCHENSIS ›BENTHAM’S SUNLIGHT‹ – FRESH GRAFT $20, 00
    NEU! Ein Stück Geschichte von einer legendären 300-jährigen goldenen Sitka-Fichte, wild gewachsen auf den nebelverhangenen Queen Charlotte Islands in Kanada, den Haida-Indianern heilig und tragisch geendet. 1997 hat ein Aktivist diesen Baum als Protest gegen die allgemeine Apathie gegenüber der massenhaften Ab holzung gefällt. Bevor er vor Gericht erscheinen konnte, ist er verschwunden und vermutlich tot. Zurückgeblie ben sind allein die Überreste seines kaputten, ramponierten Kajaks und Rudimente einer Campingaus rüstung. Eine Begebenheit, die alles in sich vereint: Ge schichte, heilige Symbolik, Tragik, Mysterien. Man hat versucht, dem gefällten Baum entnommenes Pfropf material auf den Originalwurzelstock zu pfropfen. Die vollständige Geschichte finden Sie im Heft der American Conifer Society, Ausgabe Herbst 1997.
    Fincham ist ein anerkannter Koniferenexperte und arbeitet zurzeit an einer revidierten Fassung von Krussmanns Manual of Cultivated Conifers , einem der Standardnachschlagewerke zum Thema. Sofern bis zur Drucklegung der neuen Ausgabe niemand protestiert, wird die goldene Fichte unter dem Namen »Epitheton« oder ›Bentham’s Sunlight‹ aufgeführt. In der Welt des Gartenbaus wird die Person, die dafür verantwortlich ist, eine neue Pflanze oder Zuchtvariante zu benennen, zu ihrem »Autor«, und es hat sich herausgestellt, dass Oscar Sziklai, der Autor der Picea sitchensis ›Aurea‹, ein Epitheton verwendete, das bereits vergeben war. Es gibt in Australien eine Zuchtvariante der Sitka-Fichte mit einer krankhaft grünen Farbe – ganz und gar nicht goldfarben –, die bereits unter diesem Namen geführt wird. Aber auch dieser ist ungültig, da latinisierte Epithetone für Zuchtvarianten von der International Cultivar Registration Authority, der offiziellen Behörde für Pflanzentaxonomie, seit 1958 nicht mehr anerkannt werden. In jenem Jahr wurde ein neues Taxonomieregelwerk eingeführt, nach dem Latein mit der Muttersprache des Autors kombiniert wird, wie zum Beispiel bei Fincham: Picea sitchensis ›Bentham’s Sunlight‹. Wie – oder ob – die Haida darauf reagieren, bleibt abzuwarten, doch sie haben sich um dringendere Angelegenheiten zu kümmern, vor allem darum, die Kontrolle über die Inseln zurückzugewinnen, die sie nie formal abgetreten haben.
    Im Frühling des Jahres 2000 wurde erklärt, dass Luanne Palmers Pfröpflinge der goldenen Fichte zum Umpflanzen bereit seien. Sie wurden mit jener Sorgfalt behandelt, die normalerweise nur Kunstwerken und Betäubungsmitteln zugestanden wird. Von Finchams Klonen nichts ahnend, hatten die Haida klargemacht, dass keine Ableger genommen werden durften, es sei denn, deren Verteilung würde unter der Kontrolle des Stammes erfolgen. Ihre

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