Am Ende der Wildnis
getrennte Stumpf wieder aufgerichtet und war wie ein großer Oberkiefer aus Erde und Wurzelwerk über ihnen zugeschnappt.
Unfälle waren in jenen Tagen so sehr an der Tagesordnung, dass man die Leiche eines zu Tode gekommenen Mannes einfach beiseitelegte und die Arbeit bis zum Feierabend fortsetzte, bis ein Boot, Flugzeug oder Laufbursche losgeschickt wurde, die Polizei zu informieren. An abgelegenen Orten war dies bis in die 1980er-Jahre gang und gäbe. Auch heute noch müssen Holzfäller ihre toten Kollegen gelegentlich wie Mehlsäcke aus dem Wald tragen. Viele Kolonnenführer betrachteten ihre Arbeiter als beliebig einsetzbare, austauschbare Einheiten, die sich jederzeit einstellen und rausschmeißen ließen; von einigen Camps hieß es, sie hätten drei Mannschaften: Eine arbeitete, eine andere war gerade gefeuert worden und noch eine wurde mit dem nächsten Schiff erwartet. Ein berüchtigter Kolonnenführer auf den Charlottes hieß Panicky Bell, und Harry Tingley erinnerte sich an einen Vorfall, bei dem zwei Männer gefeuert wurden. Bell bestellte ein Flugzeug, das die Männer ausfliegen sollte, und als der Pilot sich sträubte, allein wegen der beiden Männer die lange Strecke auf sich zu nehmen, feuerte Bell auf der Stelle noch ein paar weitere, damit der Pilot sich zufriedengab.
Der Ruf (und die Bezahlung) eines Kolonnenführers richtete sich direkt nach der Produktivität seiner Crews, was zu einer akkordähnlichen Arbeit, dem sogenannten highballing führte. Dabei ging es darum, das Holz so schnell aus dem Wald zu schaffen, wie es unter Ausnutzung sämtlicher menschlichen und mechanischen Möglichkeiten zu machen war, koste es, was es wolle. Harry Tingley nennt das »malochen wie Billy Be-Damned«. Nachdem Pferd und Ochse den sogenannten steam donkeys gewichen waren, dampfbetriebenen Seilwinden, mit denen Baumstämme mittels Seil und Rollen aus dem Wald geschleppt wurden, nahm das Tempo exponenziell zu. Als um die Jahrhundertwende die ersten dampfbetriebenen Donkey-Motoren zum Einsatz kamen, waren das einfache, relativ kleine Maschinen, etwa so groß wie ein Müllcontainer. Sie fuhren auf Schlitten, die aus Stämmen bestanden, und bewegten sich durch den Busch, indem sie sich an einen weit entfernten Baum heranzogen, mit dem sie über ein Seil verbunden waren. Die ersten Donkeys dienten dazu, die Stämme am Boden entlangzuschleppen, doch mit dem Fortschritt der Technik kam das Seilwindenverfahren auf. Das Hauptkabel wurde vom Donkey zu einem hohen, kräftigen Baum (dem »Trägerbaum«) hoch oben am Hang geführt, während ein Trägerkabel zwischen zwei Trägerbäumen gespannt wurde. An den vom Hauptkabel abgehängten Sekundärseilen, sogenannte choker , wurde jeweils ein Stamm befestigt; auf diese Weise konnten die Waldarbeiter Bündel von Stämmen durch die Luft transportieren und das beim Bodentransport unvermeidliche Hängenbleiben an Felsbrocken und Windbruch vermeiden. Während ein Ochsengespann eine Ladung nur im langsamen Schritt zu bewegen vermochte, konnte ein Donkey-Motor mit einem Seilwindenkabel über Grund ein Bündel von Stämmen mit einer Geschwindig keit von fünfzig Stundenkilometern teilweise durch die Luft aus dem Wald hieven. Ein Bündel von Neunmeterstämmen, das mit solchem Tempo über unebenes Gelände hüpft und holpert, ähnelt, wie ein Augenzeuge es beschreibt, einem fünfzig Tonnen schweren Känguru, das Amok läuft. Wenn Unfälle passierten, konnten sie katastrophal enden.
Man ist immer wieder verblüfft, wofür jemand sein Leben zu riskieren bereit ist, und die Aussicht auf einen Kas ten Bier am Freitag konnte den Unterschied zwischen einer Woche mit durchschnittlicher und einer mit rekordverdächtiger Holzernte bedeuten; es konnte jedoch auch den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Doch im gleichen Maße wie die Maschinen größer und leistungsfähiger sowie ihr Besitz und Betrieb teurer wurden, stiegen auch die Erwartungen. Neil McKay erinnert sich an eine gewaltige Maschine aus den 1920er-Jahren, die den Namen Washington Flyer trug; dieser Donkey-Motor war fünf Meter lang und drei Meter breit; er bewegte sich auf einem fünfundzwanzig Meter langen Schlitten, der aus Stämmen mit mehr als einem Meter Durchmesser gebaut war, und konnte ein Kabel von fünf Zentimetern Durchmesser und einem Kilometer Länge bewegen. »Es war ein verdammt monströses Ding«, erinnert sich McKay, »man konnte damit einen ganzen Berghang abholzen.« Und genau das machten sie, wobei die
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