Am Ende der Wildnis
in der Luft, wo rund um die Uhr und unter allen denkbaren Wetterverhältnissen gearbeitet wird –, dann ist noch deutlicher, wie heimtückisch das Holzfällen sein kann. Und was die Vielfalt der Todesarten betrifft, schlagen die Holzfäller ohnehin alles: Piloten stürzen ab und Fischer ertrinken, aber Holzfäller werden verkrüppelt oder kommen auf grässliche Arten ums Leben, die Aspekte von Industrieunfällen, Krieg und Folter vereinen.
Frank Garnett, ein Siedler zur Zeit der Jahrhundertwende, der beim Holzfällen Ochsengespanne einsetzte, konnte sich als Holzfäller einen Namen machen, weil er auf Vancouver Island, einem für seine enormen Bäume bekannten Ort, einige der größten Exemplare zu Fall brachte. Wann immer das Holz sich nicht unter Ausnutzung der Schwerkraft ins Wasser transportieren ließ, dienten Ochsen und später auch Pferde als Alternative. Hatten die Männer den Baum in Abschnitte gesägt, spitzten sie die Stammenden mit einer Axt an, um sie leichter über das unebene Gelände rutschen zu lassen; anschließend wurden sie durch starke Haken und Ketten miteinander verbunden. Häufig baute man mit quer zur Transportrichtung ausgelegten kleineren Hölzern sogenannte Riesbahnen, über die die aneinandergeketteten Baumstämme gezogen werden konnten. Um die Rutschpartie zu erleichtern, schmierte man die Gasse mit Wasser, Rohöl, Waltran oder dem Fischöl ein, das von einem entlang der Küste einst stark vertretenen Hai stammte. Sobald die Stammabschnitte in Reihe gelegt waren, wurde das etwa ein Dutzend Ochsen umfassende Gespann vor den ersten Stamm gespannt; gegen das Ausrutschen auf dem schmierigen Weg waren Ochsen und Pferde genau wie die sie lenkenden Menschen mit Spikes gewappnet. War endlich alles bereit, dann spornten die Ochsengespannführer mit ihrer erstaunlichen Mischung aus sanfter Verführung und wüsten Beschimpfungen die Tiere an, sich in Bewegung zu setzen.
Garnett lenkte das schwer beladene Ochsengespann aus dem Bestand in Maple Bay, in dem er gearbeitet hatte, als einer der schweren Stämme plötzlich verrutschte und ihn gegen einen ähnlich massiven Stammabschnitt presste. Schließlich verkantete sich der Holzkoloss auf so unglück liche Weise, dass weder Mensch noch Tier ihn von der Stelle zu rücken vermochten und Garnett hoffnungslos einge klemmt war. Seine Mutter war zufällig in der Nähe und geriet bei dem Versuch, ihrem Sohn beizustehen, in eine ähnlich schreckliche Lage wie Garnett selbst. Den unweigerlichen Tod vor Augen, flehte er seine Mutter wiederholt an, ihn mit einem der herumliegenden Vorschlaghämmer von seiner Qual zu befreien. Unfähig, sich zu erbarmen und ihr eigenes Kind zu erschlagen, ertrug sie sein Flehen zwei Stunden lang, bis er schließlich verblutet war.
Ein amerikanischer Zeitgenosse Garnetts mit Namen Freeman Tingley war einer der ersten Pioniere, die sich auf den Queen Charlottes niederließen. Tingley war an der Gründung der späteren Holzfällerstadt Port Clements ganz in der Nähe der goldenen Fichte beteiligt und gehörte zu den wenigen ersten Siedlern, die nicht nach einem oder zwei Jahren aufgeben mussten. Noch mit über siebzig schlug Tingley das Holz allein mit der Axt und setzte zum Transport Ochsen ein. Bekannt war er zudem für das prächtige Gemüse, das er züchtete und an Einheimische ebenso wie an Siedler verkaufte. Aber auch an anderen Fronten war Tingley erfolgreich, sodass man ihm in Anspielung auf die Vielzahl seiner Ehefrauen und Menge seiner Sprösslinge den Spitznamen »Stud« verlieh.
Einer der vielen Enkel Tingleys wurde 1928 auf den Inseln geboren und mit dem Namen Harry ins Leben geschickt; bei Nacht hörte man damals noch manchmal die pulsierenden Trommeln der Haida über dem Masset Inlet nahe dem Yakoun River. Mit vierzehn Jahren begann Harry sein Leben unter Holzfällern. Er tauchte dabei in eine Welt ein, die heute nur noch schwer vorstellbar ist, eine Welt, in der ein Junge gleich am ersten Arbeitstag in einen schlammigen Graben gestoßen wird, ein Knie auf der Brust spürt und eine dreckige Hand vor Augen sieht, die ihm den Pfirsichflaum mit einem Jagdmesser vom Gesicht kratzt.
»Na, hat’s dir gefallen?«, mochte der neue Freund gesagt haben, als er von ihm ließ. »Jetzt biste ein Mann.«
Harry Tingley setzte sich 1993 im Alter von fünfundsechzig Jahren zur Ruhe. Statistisch gesehen hätte er jedoch schon viel früher sterben müssen. Tingley verlor einen Bruder und zwei Halbbrüder durch Unfälle im Wald,
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