Am Ende der Wildnis
kaltschnäuzigem Mut, gymnastischer Körperbeherrschung und Kraft sowie technischem Geschick: Der Erfolg einer Abholzung hing buchstäblich von der Kompetenz des Riggers ab.
Die ersten Rigger waren Seeleute. Bereits mit der Arbeit hoch oben auf schwankenden Masten und mit komplexer Takelung vertraut, waren sie für diese Arbeit wie geschaffen. Die Spezialausrüstung eines High Riggers war minimal: acht Zentimeter lange Spikes, die um seine Knöchel geschnallt waren, und ein schweres Seil, das an seiner Taille eingehängt und um den Baumstamm geschlungen war. Das Seil war um einen Drahtkern gewoben, um zu verhindern, dass es versehentlich durch die Axt des Riggers – eine kürzere und kompaktere Version derer, die von Holzfällern benutzt wurden – gekappt werden konnte. Außer der Axt und der Einmann-Schrotsäge hing an seinem Gürtel nor malerweise noch ein langes dünnes Seil, das dazu benutzt wurde, nach und nach stärkere Seile, Kabel und Flaschenzüge heraufzuziehen, sobald der Baum entastet war. Solchermaßen ausgerüstet, »umarmte« ein Rigger wie Angus Monk die Bäume, die fast achtzig Meter hoch waren, und kletterte hinauf. Dabei schlug er alle Äste ab. Da der oberste Teil eines Baumes dünner war und nicht so kräftig, wurde er abgesägt, manchmal gar mit Dynamit weggesprengt. Einen entasteten Baum zu kappen war ein heikles Unterfangen: Wenn es aufbriste und der Wipfel zu fallen begann, bevor er ganz abgesägt war, konnte es geschehen, dass der Baum zum Killer wurde und der Rigger zwischen dem sich spreizenden Baum und seinem Sicherheitsseil zerquetscht wurde. Um die Winterstürme zu überstehen, müssen Bäume dieser Höhe extrem biegsam sein, und selbst wenn alles nach Plan verlief, würde die Ablösung eines mehrere Tonnen schweren entasteten Wipfels zur Folge haben, dass der Baum wild zu schwanken anfing. Die Kollegen auf dem Boden würden zuschauen, wie der winzige Rigger dort oben den Kopf einzog, die Spikes tiefer eingrub und sich fest klammerte, während der Trägerbaum hin und her peitschte wie ein Schiffsmast im Sturm. Nachdem wieder Ruhe ein gekehrt war, pflegten manche Rigger, darunter auch Angus, von der Standfläche, die sie sich geschaffen hatten und die nicht größer war als ein Cocktailtablett, ins Leere zu uri nieren. Sobald alle Flaschenzüge an Ort und Stelle waren, konnte sich der Rigger abseilen. Angus war beim schnellen Abseilen bald so versiert, dass er bei fünfzig Metern seinen Hut in die Luft werfen und zur gleichen Zeit wie dieser auf dem Erdboden landen konnte. Aus diesen Gründen wurden die Rigger von anderen Holzarbeitern mit gewisser Ehrfurcht betrachtet, mit einer Mischung aus Bewunderung und Erleichterung darüber, dass sie selbst diesen Job nicht ausführen mussten. Hatte er die Füße wieder auf festem Boden, durfte sich ein solcher Mann durchaus in die Brust werfen, war er doch teils Stuntman, teils Matador und unverzichtbar dazu. Es bestand kein Zweifel: Er war der »Cock of the woods«, und das mit offiziellem Mitgliedsausweis.
Aber auch die Rigger waren nur Angestellte, und Angus stand der Sinn nach Höherem. Irgendwann hatte er bei der Arbeit genug gelernt, um auf eigene Faust weiterzumachen und das zu werden, was man in der Holzindustrie einen gyppo logger nannte: ein großer und gewagter Schritt. Gyppos waren unabhängige Unternehmer, denen möglicherweise ein paar Trucks gehörten und ein, zwei mobile Camps, und die Leistung, die sie boten, war zumeist Spiegel ihrer Persönlichkeit. Wie ihr bäuerlicher Gegenpart, der Landwirt mit einer Viertelquadratmeile eigenem Grund und Boden, auf dem sechzig Kühe grasten, waren sie den Launen des Marktes extrem ausgeliefert und sind heutzutage eine vom Aussterben bedrohte Art. In den späten 1950er und den 1960er-Jahren waren Angus und seine Crew mit dem Kahlschlag der Täler über dem Howe Sound beschäftigt, einem tiefen Fjord, der aus nördlicher Richtung in Vancouvers English Bay fließt. Wenn auch oft in Wolken oder Nebel gehüllt, ist die Landschaft atemberaubend: funkelnde Gewässer, gesprenkelt von Inseln und bewacht von bewaldeten Bergen. Durch West Vancouver und an der Ostseite des Sound hinauf windet sich der Sea to Sky Highway. Die Straße, die 1958 fertiggestellt wurde, war ein Meisterstück der Straßenbaukunst, zu vergleichen mit dem Highway One in Kalifornien. Es gibt auf dem gesamten Kontinent keinen einzigen Highway, der einen Reisenden so eng zwischen Berge und Meer einklemmt. Angus Monk war
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