Am Ende der Wildnis
benutzt hatten, erklärten volle hundert Prozent der befragten Kliniker, während ihrer offiziellen Praxissemester nicht die geringste Belehrung oder Einweisung in den Umgang mit religiösen oder spirituellen Themen erfahren zu haben. Bei Hadwins Befragung im gerichtsmedizinischen Hospital in Kamloops bestätigten sich diese Ergebnisse: Während ein Arzt anmerkte, dass Hadwin für sich eine »besondere Rolle« in der Welt sehe, erklärte ein anderer nur, er habe »sehr überbewertende Vorstellungen, was die Umwelt und den Kampf gegen das Establishment« betreffe. Das ist zweifellos eine fatale Einschätzung: Wie, möchte man fragen, sollte man Luft und Wasser »überbewerten« können? Ein schlüssi geres Anzeichen für eine Geisteskrankheit (oder zumindest doch eine psychospirituelle Dissoziation) findet sich in der weitaus verbreiteteren Tendenz, den Missbrauch eben der Systeme, die uns am Leben erhalten, untätig hinzu nehmen. Auf jeden Fall dürfte diese Erfahrung Hadwins Feindseligkeit gegenüber »an der Universität ausgebildeten Fachleuten« erklären. Wie Lukoff schrieb: »Unkenntnis, Gegenübertragung und Mangel an Geschick können einen ungeübten Psychologen bei der ethischen Erwägung therapeutischer Hilfsleistungen an Patienten behindern, die mit spirituellen Problemen aufwarten.«
Gene Runtz, der Mann, der Hadwin 1987 für die Straßenplanung oben in McBride angeheuert hatte, war wohl der Erste, der Hadwin nach dessen wahrscheinlich erstem »spirituellen Ausnahmezustand« begegnete. Es war Runtz, der die erschreckende Verwandlung seines Straßenbau-Stars mit der von Dr. Jekyll in Mr. Hyde verglich. Diejenigen, die zu jener Zeit mit ihm Umgang hatten, empfanden Hadwins mit Inbrunst vertretene Überzeugungen als messianisch – was sie zweifellos auch waren –, aber wie bestürzend (oder lachhaft) solche Anmaßungen auch wirken mögen, sie passen ins Bild. Roberto Assagiolo, ein italienischer Psychologe, der Pionierarbeit geleistet hat und auf das Verhältnis von Psychologie und Spiritualität spezialisiert ist, wusste sehr wohl, dass spirituelle Ausnahmezustände oft von Größenwahn begleitet werden. »Beispiele einer solchen Konfusion«, schrieb er in einem bahnbrechenden Aufsatz mit dem Titel »Selbst-Verwirklichung und psycholo gische Störungen«, »sind nicht ungewöhnlich bei Menschen, die überwältigt reagieren, wenn sie mit so großen Wahrheiten oder so starken Energien in Berührung kommen, dass weder ihre geistige Kapazität ausreicht, sie zu begreifen, noch ihre Persönlichkeit in der Lage ist, sie zu assimilieren.« Hätte man Johanna von Orleans oder Muhammad ibn Abd al-Wahhab (den Begrün der des Wahhabismus) zu den Drs. Assagiolo oder Lukoff geschickt, wäre die Geschichte Europas und des Nahen Ostens vielleicht in völlig anderen Bahnen verlaufen. Oder vielleicht auch nicht. Bei diesem Typus Individuum gibt es nämlich einen Haken: Solange er noch in den Fän gen der Mächte des Jenseits taumelt, ist es beinahe unmöglich, sich logisch mit ihm auseinanderzusetzen. Daraus erklärt sich wohl auch, warum so viele betroffene Menschen irgendwann in Höhlen leben, auf Berggipfeln oder entlegenen Inseln in kleinen Gemeinden unter Gleichgesinnten.
1994, ein Jahr nach Hadwins Reise um die Welt und seiner anschließenden psychiatrischen Einschätzung, brachte die APA die jüngste Ausgabe ihres Handbuchs ( DSM-IV ) heraus, in der die von Lukoff vorgeschlagene Kategorie jetzt zu finden war, wenn auch unter der eher generischen Überschrift »Religiöses oder spirituelles Problem«. Vier Jahre später gründete Lukoff das Spiritual Emergency Resource Center, das Informationen über die Phänomenologie und Behandlung solcher Ausnahmezustände sammelt, ein schließlich der Fallgeschichten von Menschen, die derartige Erfahrungen erfolgreich in ihr Leben einbezogen haben.
Nachdem die Amerikaner noch drei weitere Tage lang an der Südspitze von Kruzof Island nach Hadwin gesucht, aber keine Spur von ihm entdeckt hatten, brach die Coast Guard die Aktion ab, und man kontaktierte seine nächsten Angehörigen. Nachdem man jedoch von seiner Frau erfahren hatte, dass Hadwin ein versierter Naturbursche war, der »sechs Wochen lang allein von Nüssen und Beeren leben konnte«, nahmen die Männer der Küstenwache an, dass er noch am Leben sein könne. Drei Tage später setzten sie die Suche fort. Vier Tage danach kam von einem Fischerboot die Nachricht, dass man an der Nordwestküste von Kruzof, mehr als
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