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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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schwamm eine Walkuh mit ihrem Jungtier. Wir schossen auf das Junge und töteten es. Sein Öl brachten wir nach Port Simpson, um es einzutauschen. Dort kauften wir allerhand Dinge …
    Die Krieger stiegen jetzt ein. Und auf der Fahrt sangen sie Kriegslieder. Für mich war es schwer. Zwei meiner jüngeren Brüder waren gefallen, und ich sang mit anderer Stimme.
    Die siegreichen Krieger, von denen manche schwer verwundet waren, überquerten wieder Dixon Entrance und stießen auf eine Gruppe Masset Haida, von denen sie drangsaliert wurden, weil sie die Tlingit angegriffen hatten. Die Massets versuchten, den Pebble-Towners die eben eroberten Sklaven zu rauben, und ein Kampf zwischen den Angehörigen zweier Haida-Gruppen brach los. Der wurde jedoch abgebrochen, und anschließend kam es zu einem verkrampften gemeinsamen Mahl, während dessen keine der beiden Seiten die Waffen ablegte. Tabak wurde hervorgeholt, und die Massets boten eine gewaltige Menge an Decken und Feuerwaffen für Häuptling Yan, den wertvollsten Gefangenen, aber die Angehörigen des Pebble-Town-Volks weigerten sich, ihn zu verkaufen. Trotz der Tatsache, dass viele von Richards Verwandten väterlicherseits in Masset wohnten, blieb die Lage gespannt. »Wir wachten die ganze Nacht. Einige von uns schliefen an Land. Vom Kampf war ich von oben bis unten mit Blut befleckt.« Am Morgen paddelten sie heimwärts und passierten dabei das Dorf Skidegate, dessen Einwohner dafür bekannt waren, andere Haida-Trupps, die auf Raubzügen waren, abzufangen, um ihnen die Sklaven zu stehlen. In diesem Fall blieben sie aber an Land. »Nach dem Kampf sangen wir viele Nächte lang Siegeslieder«, schließt Richard. »Das ist die ganze Geschichte.«
    Weil Scharmützel dieser Art alltäglich waren, lässt sich nicht sagen, wessen Kopf der Gerichtsmediziner vor sich hatte. Und das verweist auf ein Problem, mit dem jeder konfrontiert wird, der in diesem Teil der Welt forensische Polizeiarbeit zu leisten versucht: Die Nordwestküste macht es Beweissuchenden sehr schwer. Sergeant Randy McPherron ist Detective bei der Mordkommission der Alaska State Trooper und war auf der amerikanischen Seite für den Hadwin-Fall zuständig. Die Herausforderungen, die seine Arbeit stellt, sind radikal anders als diejenigen, die seine großstädtischen Kollegen zu meistern haben. »Alaska eignet sich gut dazu, eine Leiche loszuwerden«, erklärte er, »besonders im Südosten [in der Alaska Panhandle]. Hier oben starben die Leute allerorten; die ganze Gegend war stark besiedelt von Ureinwohnern. Und es gibt massenweise ungelöste Mordfälle. Oft ist es wie mit der Nadel im Heuhaufen.« Die Hälfte der Mühen besteht darin, die Beweise zu finden, bevor sich die Natur ihrer bemächtigt: »Hier oben kann so viel passieren«, sagte McPherron. »Es gibt so viele wilde Tiere, die dafür sorgen, dass die Leichen verschwinden.«
    Bären leisten die Schwerstarbeit, während Mäuse, See vögel, Adler und Raben an den Knochen nagen und picken. Krebse und Insekten erledigen den Rest. Regen und Aasfresser sorgen in Gemeinschaftsarbeit dafür, dass als Zeitfenster für gerichtsmedizinische Arbeit nur ein paar Tage bleiben – wenn überhaupt. »Wenn er gekentert und gesunken ist«, sagte McPherron, »wird nichts wieder an die Oberfläche kommen. Da draußen ist das Wasser mächtig tief, und wenn etwas im kalten Wasser untergeht, dann bleibt es auch unten.«
    Unabhängig davon, ob ein Körper versinkt und zu einem »Unterseeboot« wird, wie es in der Sprache der Seenotretter heißt, oder wieder an die Oberfläche kommt, um ein »Segelboot« zu werden – die Anthropophagie (so der Fachausdruck für den Verzehr eines Menschen) beginnt fast sofort. Weil die Meeresfauna entlang der Küste so reichhaltig ist, vermögen aggressive Shrimps, Seeläuse, Dornhaie und Krebse gemeinsam eine Leiche innerhalb von vierundzwanzig Stunden zu skelettieren. Deswegen werden die Leichen von Ertrunkenen hier nur selten geborgen. Wenn sie auftauchen, dann liegt es im Allgemeinen daran, dass sie in seichterem oder wärmeren Wasser untergegangen sind und die Gase, die bei innerer Verwesung entstehen, sie an die Oberfläche aufsteigen lassen. Sollte eine Leiche besonders tief in eine anaerobe Zone sinken, in der es weder Pflanzen noch eine Meeresfauna gibt, wird sie vielleicht adipös, d. h. sie gerät in einen Zustand, in dem subkutanes Fettgewebe sich in eine Art Dichtungsmittel umwandelt, das manchmal als »Leichenwachs« bezeichnet

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