Am Ende der Wildnis
wachsen, wirkten die Bäume krumm und kraftlos. Für das ungeübte Auge müssen sie ausgesehen haben, als gehörten sie so schnell wie möglich aus der Erde gerissen.
Macdonald wusste nichts über die Herkunft der Bäume, da er in England gelebt hatte, als sie gepflanzt worden waren, aber er begab sich auf der Stelle ins Archiv, um anhand der Zugangsaufzeichnungen festzustellen, ob sie eventuell mit dem Baum verwandt waren, von dem er in der Zeitung gelesen hatte. Unter der Zugangsnummer 1 80 1 2 - 03 58-19 78 der University of British Columbia wurden sie beschrieben als »goldene Sitka-Fichte« ( Picea sitchensis ›Aurea‹), Herkunftsort waren die Queen Charlotte Islands. Sie mussten also von demselben Baum abstammen. Wie sich herausstellte, waren die beiden Exemplare das fast vergessene Ver mächtnis dreier Männer: Gordon Bentham, ein Nadelbaum freund aus Leidenschaft, Oscar Sziklai, ein ungarischer Pflanzengenetiker, und Roy Taylor, der ehemalige Präsident der Chicago Horticultural Society und Direktor des Chicago Botanic Garden, der Macdonalds Vorgänger an der UBC war. 1968 wurde Taylor Direktor des Botanischen Gartens der UBC und Mitherausgeber eines zweibändigen und achthundertseitigen Leitfadens zur Flora der Queen Charlotte Islands. Erstaunlicherweise wurde die goldene Fichte in dem Buch nicht erwähnt, aber Taylor kannte den Baum sehr wohl und hoffte, ein Exemplar für die UBC beschaffen zu können. Schließlich wurden es sogar zwei, aber es sollte mehr als zehn Jahre dauern. Wie sich herausstellte, ließ sich die goldene Fichte nur extrem schwer reproduzieren.
Seit Anfang der 1960er-Jahre hatten leitende Forstwissenschaftler bei MacMillan Bloedel gehofft, die goldene Fichte für das Arboretum der Firma auf Vancouver Island zu züchten. Ihr Interesse daran fiel zeitlich zusammen mit einer Periode neuer und aggressiver Forschung im Bereich Baumzüchtung und Vermehrung, da MacBlo Baumpflanzungen mit Douglas-Fichten erster Wahl anlegen wollte, die selektiv aus den besten wild wachsenden Exemplaren gezüchtet werden sollten. Um das zu erreichen, hatte die Gesellschaft Oscar Sziklai in Dienst gestellt, einen Pionier auf dem Feld der Baumzucht und einen von zweihundertfünfzig Studenten und Professoren der Forstschule in Sopron, Ungarn, die nach der gescheiterten Revolution von 1956 sozusagen geschlossen nach Kanada emigriert waren. Mit Unterstützung von H. R. MacMillan wurden sie ins forst wissenschaftliche Studienprogramm aufgenommen, das an der UBC im Entstehen begriffen war und an der Sziklai ordentlicher Professor wurde. Während seiner gesamten Laufbahn beteiligte er sich an Gemeinschaftsprojekten und Austauschprogrammen in Europa und Asien, und 1986 wurde er als erster Ausländer Mitglied der Chinesischen Gesellschaft für Forstwissenschaft. Sziklais Grundinteresse an der goldenen Fichte galt der Frage, ob sich die Eigenart, goldene Nadeln zu entwickeln, genetisch weitervererben ließ. Nähere Untersuchungen brachten jedoch zutage, dass der Baum steril war. Er produzierte nur sehr wenige Zapfen, und keiner ihrer Samen schien keimfähig zu sein. Dieses Detail stimmt überein mit einer Version der Haida-Geschichte, in der behauptet wird, dass es zwei goldene Fichten gab und dass der zweite Baum ein »Mann« und zeugungsunfähig war.
Kurz vor seinem Tod 1998 erzählte Dr. Sziklai einem Journalisten, dass bei einem seiner vielen Besuche der goldenen Fichte »eine Haida-Prinzessin die Führung zum Baum übernahm und sagte: ›Wenn der Baum stirbt, wird auch die Haida Nation sterben.‹« Zu dem Zeitpunkt war Sziklai ein prominenter Wissenschaftler, der bei der größten Holzfirma des Landes unter Vertrag stand, und noch dreißig Jahre später erinnerte er sich an jene Begegnung. Sie mag vielleicht auch ein Grund sein, warum sein Interesse an dem Baum so groß war. Es gab keine Garantie, dass Versuche, den Baum zu klonen, erfolgreich sein würden, aber wenn es jemandem gelingen konnte, dann Sziklai. Man hatte ihm die Aufgabe unter der einen Bedingung anvertraut, dass er seine Ergebnisse geheim hielt. »Man hatte mir nicht erlaubt, in der Öffentlichkeit laut zu sagen: ›Wir können ihn vermehren‹«, eröffnete er einem Reporter, kurz nachdem der Baum gefällt worden war. »Dieser Baum lag ihnen so sehr am Herzen, und sie fürchteten, die Leute würden sich über den Baum hermachen, und er würde verschwinden.«
»Hätten wir es publiziert«, sagte Grant Ainscough, ein ehemaliger Forstdirektor bei
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