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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Untrennbar verbunden mit Wallace ist seine Entdeckung der Evolution. Auch für sie gilt, was Alexander von Humboldt einmal – in humorvoller Übertreibung zwar, aber im Kern treffend – als die drei Phasen der allgemeinen Haltung gegenüber einer großartigen Neuerung beschrieben hat. Zuerst werde diese bezweifelt, dann ihre Bedeutung bestritten und schließlich schreibe man sie jemand anderem als dem zu, dem sie zu verdanken sei. Auf keinen trifft dies wohl besser zu als auf Alfred Russel Wallace, unterstellt man, dass er sein fertiges Manuskript zur Selektionstheorie als Erster und ohne Darwins rechtzeitige Beteiligung durch jenes delikate Arrangement hätte veröffentlichen können (was durchaus eine naheliegende Option war). Wallace wusste um den schwierigen Weg jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis, als er am Ende seines Lebens in einem Interview sagte: »Die Wahrheit kommt nur unter Schmerzen und Gegenwehr auf die Welt, und jede neue Wahrheit wird unwillig aufgenommen. Zu erwarten, dass eine neue Wahrheit, oder sogar eine alte Wahrheit, nicht infrage gestellt werden würde, hieße, eines jener Wunder zu erwarten, die es nicht gibt.«
    Doch es ist nicht nur diese eine alles überragende Entdeckung der Evolutionstheorie, die uns Wallace so faszinierend macht. Was er erreicht hat, ist spektakulär – nicht nur als Theoretiker, sondern auch als reisender Naturforscher, zuerst am Amazonas und dann im Malayischen Archipel. Seine abenteuerlichen Reisen, das akribische Sammeln verbunden mit der akademischen Auswertung dieses Materials und seiner Beobachtungen machen ihn ohne Übertreibung zum Indiana Jones der Naturkunde. Seine enorm umfangreiche Naturaliensammlung, heute über die Museen der Welt verstreut, ist einmalig, seine Expedition durch den Archipel die beeindruckendste und größte Ein-Mann-Unternehmung der Wissenschaftsgeschichte.
    Mag man Charles Darwin in konzeptioneller Hinsicht allgemein für überragender halten, Wallace übertrifft ihn um Längen, was diese jahrelange unermüdliche Feldforschung angeht. Wallace größte wissenschaftliche Leistung besteht zudem, neben der Erklärung zur Entstehung von Arten, in der Erkenntnis, wie außerordentlich bedeutsam Vorkommen, Verbreitung und Ausbreitung der Tiere und Pflanzen auf Inseln und Kontinenten sind – lange bevor andere ahnen, wohin diese Befunde noch führen. Obgleich nicht zuletzt dank seines hohen Lebensalters zum »grand old man of science« – dem großen alten Mann viktorianischer Naturforschung – geworden, sah sich Wallace gleichwohl nie als »scientist« oder Wissenschaftler. Persönlich bescheiden und zurückhaltend, suchte er als populäre Persönlichkeit dennoch die Öffentlichkeit; er prägte auf diese Weise den Darwinismus in den Jahrzehnten nach Darwins Tod als der Hauptexponent ihrer neuen Theorie. Wallace erreicht indes zu keiner Zeit den gleichen Status als Gelehrter und Gefeierter wie Darwin.
    Die Geschichte hat es nicht gut mit ihm gemeint. Wallace gerät bald in Vergessenheit, wird sogar bei jenen Forschern nur mehr im Nebensatz erwähnt, die es besser wissen müssten. Ernst Haeckel hat ihn 1868 in seiner »Natürlichen Schöpfungsgeschichte«, und nachzulesen noch bis zu dessen zwölfter Auflage im Jahre 1920, als einen »der kühnsten und verdientesten naturwissenschaftlichen Reisenden der neueren Zeit« genannt. In seiner 1951 erscheinenden »Geschichte der Ornithologie« erwähnt Erwin Stresemann zwar, dass Wallace »durch eine Vielzahl von Entdeckungen unwelklichen Lorbeer gepflückt« habe und ein »Bahnbrecher des Evolutionismus« sei, den jedoch lediglich »zufällige Umstände dazu führten, seine Begabung für die Ursachenforschung zum Besten der Naturwissenschaften zu nutzen«. Keine Rede von jenem regelrechten Forschungsprogramm zur Erklärung, wie Arten entstehen, das Wallace bereits am Amazonas, mehr noch dann im Archipel an- und umtrieb; keine Erwähnung davon, dass er eine ganze Disziplin begründete und zu Recht eine der komplexesten Faunenregionen seinen Namen trägt.
    Das Jahrhundert Darwins: Jede Zeit zeichnet ihr Bild einer Person. Dabei sehen wir Wissenschaft oft als Abfolge einzelner Erkenntnisschritte, jeder mit einer neuen Entdeckung und mit einem Namen verbunden. In dieser Kette von Ereignissen und Entdeckungen geht es um den ersten Platz, um diejenigen, die eine neue Idee als Erste haben; niemand interessiert sich dagegen für die zweiten Plätze. Je mehr aber der Stern Darwins Schritt für

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