Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Schritt strahlte, desto mehr verblasste der von Wallace. Zu Lebzeiten sprach man noch von der Darwin-Wallace-Theorie; sogar Darwin schrieb 1871, in einem Brief an seine Tochter Henrietta, dass »in einer zukünftigen Geschichte der Wissenschaft die Wallace-Darwin-Episode einmal als einer der wenigen leuchtenden Punkte unter rivalisierenden Forschern« eingehen werde. Als Darwin starb, wurde er als »der Erste unter den Männern der Wissenschaft Englands« bezeichnet. Darwins Buch über »Die Entstehung der Arten« wurde zum Flaggschiff einer neuen Armada, unter der anfangs auch die Schriften Wallace’ und anderer wie Lyell und Bates und Huxley und Hooker waren. Doch sie alle gerieten ins Fahrwasser des übermächtigen Darwin. Und mit seiner Bescheidenheit hat Wallace alles getan, dies zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass Darwins Name bald unauslöschlich mit dem Gedankengebäude der Evolution verbunden wird und bis heute bleibt. Nicht einmal ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod spricht kaum noch jemand von Wallace; und die, die es tun, glauben, dass ohne Darwin sein Name wohl gänzlich unbekannt geblieben wäre.
Dass Wallace überhaupt in Vergessenheit gerät, ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Als er dann endlich im Anschluss an die Darwin-Feierlichkeiten im doppelten Jubiläumsjahr 1959 (Darwins 150. Geburtstag und ein Jahrhundert nach Erscheinen der »Origin of Species« ) wiederentdeckt wird, schreibt man ihm die Rolle des ewigen Zweiten als Schattenmann Darwins zu. Der Beginn dieser Erinnerungskultur ist für ihn Fluch und Segen zugleich, denn es definiert die Betrachtungsperspektive für lange Zeit. Tatsächlich ist Alfred Russel Wallace einer der wichtigsten und zu Unrecht in seiner bisherigen Rolle vernachlässigten Denker und Naturforscher. Nachdem die Darwin-Industrie in den vergangenen Jahrzehnten mit viel Energie vor allem dessen Bild hat erstrahlen lassen, ist es an der Zeit, Wallace endlich seinem Schatten entkommen und für sich zu Ehren kommen zu lassen. Wallace erlaubt uns überdies, die gesamte Epoche besser zu verstehen. Wallace erweist sich gerade aufgrund seines oft anderen Verständnisses von Evolution als eine Schlüsselfigur am Übergang von der überkommenen Naturkunde zur modernen Biologie. Evolution wird heute ebenso häufig als eine Theorie wie als Tatsache aufgefasst, als ein einmaliger historischer Vorgang, der während eines mit 3,5 Milliarden Jahren unvorstellbar langen Zeitraums eine schier unerschöpfliche Vielfalt an Lebensformen auf der Erde hervorgebracht hat. (Als wissenschaftliche Theorie unterliegt das Hypothesengebäude von der Entwicklung der Organismen durch Anpassung aufgrund von Selektion dem allgegenwärtigen Versuch von Forschern, sie zu widerlegen. Da diese Widerlegung auch nach mehr als 150 Jahren nicht einmal ansatzweise gelungen ist, gelten entsprechende Überlegungen bei vielen inzwischen als Tatsache, ähnlich wie etwa Quanten- oder Relativitätstheorie unwiderlegt unser physikalisches Weltbild dominieren und die Gravitation als unumstößliche Tatsache erscheint, der wir unterworfen sind.) Mit Darwin und Wallace wurde die Vorstellung von der Veränderung der biologischen Arten zur allgemeinen Überzeugung. Beide haben gezeigt, dass nicht von außen gesetzte Zwecke als Ursache für die Zweckmäßigkeit der Organismen angenommen werden müssen; dass vielmehr ungerichtete, zufällige Variationen gemeinsam mit dem blinden Mechanismus der natürlichen Auslese zum Wandel der Arten führen.
Doch waren Darwin und Wallace auch in wichtigen Punkten anderer Ansicht; und just in diesen Unterschieden nehmen sie auch einen anderthalb Jahrhunderte währenden Dissenz vorweg: In der Frage nämlich, ob der Verstand des Menschen eine Ausnahme von der Grundregel einer nur mehr natürlichen Auslese darstellt; und damit letztlich in der Frage, ob teleologische und theologische Erklärungen des Lebens überflüssig sind. Mithin nicht eben ein trivialer Unterschied.
Die Renaissance beginnt: In jüngster Zeit kommt Wallace vermehrt zu Ehren, nachdem vor etwa einem Jahrzehnt in England eine bemerkenswerte Renaissance einsetzte. Den noch eher bescheidenen Auftakt dazu macht 1998 der Auftrag der Linnean Society, nun endlich auch ein Porträt Wallace’ malen zu lassen, das seitdem neben dem Bildnis Darwins (das bereits 1881 angefertigt wurde) in der National Portrait Gallery hängt. Ab dem Jahr 2000 erscheint dann in steter Folge eine ganze Serie englischsprachiger
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