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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Ereignissen nach sich – darunter auch einige voller Merkwürdigkeiten. Zwar bekennt sich Wallace zeit seines Lebens als zweifelsohne überzeugter »Darwinist« zur Selektionstheorie im Sinne Darwins. Doch dann schränkt er ihre Anwendbarkeit auch wieder ein – und zwar beim Menschen, wie dies übrigens damals andere namhafte Forscher ebenfalls tun, unter ihnen auch der Geologe und ansonsten richtungsweisende Denker Charles Lyell. Den Menschen wollen viele nicht als ein allein durch Auslese angepasstes Produkt der Natur verstanden wissen – bis heute. So vehement Wallace die Wirkung der von ihm mitentdeckten natürlichen Selektion anderswo im Tierreich und auch bei den übrigen Eigenschaften des Menschen propagiert; allein die menschliche Intelligenz hält er dann für göttlich inspiriert.
    Zwar vermag er viele Naturforscher seiner Zeit nicht zu überzeugen. Doch dass Wallace letztlich alles andere als konsequent in seinem Denken und Urteilen sei, ist ein weiterer Irrtum. Die Sache ist komplex, wie wir gesehen haben. Einerseits lehnt Wallace Darwins spätere Idee einer parallel der natürlichen Auslese wirkenden sexuellen Selektion ab; vielleicht, weil er weiblichen Wesen nicht eine derartige Wirkung zubilligen mag; vor allem aber wohl, um konsequenterweise das universelle Walten der natürlichen Selektion nicht eingeschränkt zu sehen. Andererseits billigt Wallace dann dem Menschen eine Sonderrolle jenseits des Tierreichs zu – anfangs wenigstens aufgrund naturwissenschaftlicher Fakten, doch auch motiviert durch seine spiritualistische Überzeugung.
    Wer heute indes Wallace gefährlich nah an den amerikanischen Kreationismus heranrückt und ihn gleichsam wie einen V-Mann im Gedankengebäude der Evolution Darwins erscheinen lässt, der verlässt gleich in zweifacher Hinsicht den Boden der Wissenschaft: Zum einen werden dabei jegliche wissenschaftshistorisch relevante Zusammenhänge verneint; zum anderen wird einmal mehr in unzulässiger Weise versucht, in erster Linie religiös motivierten Glaubensbekenntnissen einen naturwissenschaftlichen Anstrich zu geben, den sie nicht haben und nicht haben können.
    Viertens – Spiritualismus und Holismus: Das Paradoxe und die Rätsel um Wallace’ Persönlichkeit lösen sich auf, wenn wir beides in der Zusammenschau betrachten. Keineswegs sind Wallace’ spiritualistische Überzeugungen nur mehr eine Altersmarotte, eher schon der Irrtum eines idealistischen Jahrhunderts, in dem viel von einer »overruling intelligence« geredet wird. Für Wallace wird der Spiritualismus zu einer Art ausgelebter Ersatzreligion, zu der er bereits früh in seinem Leben Zugang fand, schon bevor er sich auf seine jahrelangen Tropenreisen begibt. Eine Überzeugung, die, im Übrigen keineswegs unüblich, von vielen seiner Zeit geteilt wird (so etwa von Charles Lyell). Zwar war Wallace seine spiritualistische Überzeugung in dieser Hinsicht nicht von Vorteil; doch hat ihm nicht die Tatsache an sich geschadet, Spiritualist zu sein, sondern allein die Vehemenz, mit der er sich dafür einsetzte. Und zweifelsohne der Umstand, dass er dem Spiritualismus statt als Glaubensbekenntnis Wissenschaftlichkeit zubilligte.
    So verblüfft nur auf den ersten Blick, dass Wallace nach seiner Entdeckung der natürlichen Selektion 1858 und seiner Rückkehr von einer der ertragreichsten naturkundlichen Explorationen 1862 keineswegs als Allererstes und ausschließlich deren Ergebnisse veröffentlicht. Nicht der natürlichen Selektion oder der zoologischen Geographie allein gilt sein Interesse in diesen ersten Jahren danach, sondern dem Spiritualismus seine Stimme zu verleihen und Séancen beizuwohnen. Wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir, dass Wallace zu dieser Zeit und noch Jahrzehnte danach auf der Suche nach einer Erklärung für viele Phänomene in der Evolution der Natur und der Entwicklung des Menschen ist. Während er in vielem natürliche Kräfte am Werke sieht, glaubt er bei der Entstehung des menschlichen Wesens und seines Verstandes, von Gehirn und Geist also, eine andere, größere und höhere Kraft am Werk.
    Keineswegs aber dürfen wir uns in einer Zweiteilung seiner Lebensgeschichte den jungen Wallace als Evolutionisten, den alten Wallace als verwirrten, verschrobenen Exzentriker vorstellen. Vielmehr versucht Wallace unter Zuhilfenahme des Spiritualismus die große Frage zu lösen, wie der menschliche Verstand in die Welt kam, die wir damit gedanklich durchmessen. Sein Ansatz ist eine ganz eigene

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