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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Entomologie und Coleopterologie – und er erfährt dabei erstmals von einem bis dahin ungeahnten Phänomen: der biologischen Vielfalt. Als Bates seine Käfersammlung vorführt, lässt er Wallace schätzen, wie viele verschiedene Arten wohl rund um Leicester leben. Vielleicht fünfzig Arten? – versucht sich dieser etwas hilflos an einer Antwort. Bates zeigt ihm etwa tausend verschiedene Käfer, aufgespießt auf Nadeln, darunter viele bunt schillernder Laufkäfer – allesamt Arten, die er im Umkreis von zehn Meilen um Leicester gesammelt hat. Auch verblüfft Wallace, dass in einem damals beliebten Handbuch mehr als dreitausend Käferarten allein für die Britischen Inseln aufgeführt sind. Wenn selbst hier immer noch neue Arten entdeckt werden können, um wie vieles reicher müssen dann erst jene Regionen der Erde sein, in denen bisher kaum Käferforscher unterwegs waren? Und wie überrascht wäre Wallace wohl zu erfahren, dass wir heute von weit mehr als einer Million Käferarten weltweit ausgehen müssen.
    Angesichts von Bates’ britischen Käfern hat Wallace erstmals dieses große erhebende Gefühl der winzig kleinen Unterschiede, anhand derer sich einzelne Arten voneinander unterscheiden. Was Wallace hier beeindruckt, gehört zu den Grunderlebnissen all der Biologen, die dann bald nicht mehr vom systematischen Studium jener Vielfalt und Vielgestaltigkeit der Arten lassen können. Mögen andere vom unendlichen Reichtum der Natur bloß schwärmen, nur der echte Sammler und der Systematiker wird dieses Gefühl der Fülle und Vielfalt der Formen so tief empfinden und stets von ihm gefesselt.
    Zwischen Wallace und Bates entwickelt sich in den kommenden Monaten und Jahren eine Freundschaft, die sie ihr Leben lang verbindet. Denn schnell fängt Wallace Feuer fürs Insektensammeln. Er verschafft sich eine Ausgabe von Stephens »Manual of British Coleoptera«, eines beliebten Handbuchs über britische Käfer, dazu Sammelgefäß, Insektennadeln, Papier für Etiketten und einen speziell vor Beschädigung schützenden Insektenkasten mit Glasdeckel, in dem er seine neuen Schätze fein säuberlich aufgereiht unterbringt. In der Umgebung von Leicestershire sammeln und bestimmen Wallace, Bates und dessen jüngerer Bruder Frederick nun in jeder freien Minute Insekten; sie stellen ihnen mit Zuckerfallen nach, drehen Blätter um, suchen unter der Borke verrottender Baumstämme und unter Steinen. Jeder Fund wird sorgfältig vermerkt, nummeriert, beschriftet, aufgespießt und der Fundort in einer Karte notiert. Jeden Mittwoch und Samstagnachmittag unternimmt Wallace während des Sommers Streifzüge in die Umgebung, um Käfer zu jagen, gelegentlich gemeinsam mit den Schülern seiner Lateinklasse. Ihr bevorzugtes Ziel ist unter anderem der Bradgate Park nahe Leicester, ein verwilderter und vernachlässigter großer Garten mit den Ruinen eines Landsitzes. Am Ende seines Lebens – 1908 anlässlich einer Feier zum fünfzigsten Jahrestag der gemeinsamen Vorstellung der Theorie der Evolution – wird sich Alfred Russel Wallace dieser Anfänge als eifriger und emsiger Käfersammler erinnern, als er zu erklären versucht, warum er und Darwin auf jene geniale Erklärung gekommen sind. Es ist die Sucht des systematischen Sammelns, die sie letztlich die Lösung des größten Naturrätsels finden lässt.
    Tatsächlich verändert dieser Einblick in die Welt der Käfer und anderer Insekten Wallace’ Blick auf die ganze Welt. Nach der Begegnung mit Bates in der Bibliothek und den Käfern von Leicestershire ist nichts mehr so wie vorher. Beide, Bates und Wallace, sind enthusiastisch, was die Naturkunde angeht; aber höchst unzufrieden, was ihre augenblicklichen Lebensumstände betrifft. Gemeinsam schmieden sie daher einen großen Plan. Doch wir eilen etwas zu weit voraus. Zuerst müssen wir noch auf jenes Buch eines anonymen Autors zurückkommen, das Darwin zögern ließ, als es in England für Wirbel sorgte.
    Die abstruse Idee des Robert Chambers: Wie wir heute wissen, wurde der 1844 erschienene Bestseller »Vestiges of the Natural History of Creation« von dem schottischen Verleger und naturkundlichen Dilettanten Robert Chambers verfasst. Der Autor, 1802 in einem schottischen Dorf geboren und ähnlich wie Wallace in mehr als bescheidenen, ja geradezu ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hat gemeinsam mit seinem Bruder William in Edinburgh eine einträgliche Handlung antiquarischer Bücher aufgebaut. Bald verlegen die beiden auch erfolgreich

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