Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
überlebt die Fieberanfälle, ebenso die Vampir-Fledermäuse, die, mit Tollwut infiziert, für den Menschen gefährlich werden können, und auch die Mücken, die ihm die Hände und Fußgelenke zerstechen. Nicht nur von lieblichen walisischen Wiesen, Weiden und Wäldern, sondern von einem weichen, sauberen englischen Bett träumt Wallace inzwischen immer häufiger; es erscheint ihm als Gipfel irdischer Glückseligkeit. Drei Jahre ist er bereits im größten Stromgebiet der Erde unterwegs, die meiste Zeit davon am Rio Negro – dem Schwarzwasserzufluss des Amazonas, der Farbe und Namen den reichlich darin gelösten Huminstoffen verdankt. Die Herausforderungen, die hier auf ihn warteten, hatte er nicht im Traum vorausgeahnt.
Ankunft im Paradies, Pará – Mai 1848: Wallace und Bates haben sich Ende April in Liverpool eingeschifft. Nach einer ungemütlichen Fahrt durch den Golf von Biscaya, bei der Wallace keinen Fuß aus seiner Koje setzt, und einer ansonsten ereignislosen Überquerung des Atlantiks kommen sie kaum einen Monat später, am 26. Mai 1848, in Brasilien an. Erstmals sehen sie das Delta des gewaltigen Amazonas, anfangs eher eine breite Meeresbucht denn eine Flussmündung. Dann treten die dicht bewaldeten Ufer näher und unter einem wolkenlosen Himmel taucht nach zwei Tagen die Stadt Pará auf – das heutige Belém. Wallace schwärmt vom Anblick riesiger Urwaldgiganten, die einzeln oder in Gruppen die grüne Wand des üppigen Regenwaldes noch überragen. Der Dschungel erstreckt sich von hier über mehr als dreitausend Kilometer bis an den Fuß der Anden; darin, so vermuten die beiden Reisenden, die reichsten Naturschätze, die sie in ihrem Leben nicht würden vollständig einsammeln können.
Doch sie sind schnell enttäuscht. Nicht nur Pará macht alles andere als einen exotischen Eindruck; auf Wallace wirkt es »nicht fremder als Calais oder Boulogne«, schreibt er nach England. Und während Bates sich in seinem Bericht ausführlich der Schönheit der Frauen in der Stadt widmet, ist Wallace bei diesem Thema weniger ausschweifend. »Jede Schattierung in der Färbung der Haut ist hier zu sehen«, notiert er sachlich, »von weiß zu gelb, braun und schwarz – Negros, Indianer, Brasilianer und Europäer, mit jeder ihrer Mischungen«. Beide schwärmen zwar auch von der faszinierenden Schönheit der Gewächse, doch erscheint ihnen der Regenwald anfangs seltsam verwaist und beinahe leer, keineswegs angefüllt mit exotischen Tieren. »Bei meinem ersten Ausflug in den Wald«, berichtet Wallace, »erwartete ich sogleich überall Affen, Kolibris und Papageien ähnlich wie in einem Zoologischen Garten zu begegnen« – doch die lassen sich nicht blicken. Auch ist der tropische Regenwald kein Park voller flatternder Schmetterlinge. Wie so viele Tropenreisende sind Wallace und Bates in geradezu fiebriger Erwartung einer überwältigenden Vielfalt gekommen, haben aber Vielfalt mit Fülle verwechselt. Tagfalter etwa sind hier zwar höchst artenreich, aber jeder von ihnen ist nur schwer in mehreren Exemplaren zu finden; nicht viel anders ist es bei den Käfern, den Schnecken, den Orchideen. Ahnungslos und unerfahren wie die beiden sind, dauert es einige Zeit, bis sie lernen, wo und wie sie nach den vielen Arten von Insekten und Vögeln suchen müssen, die es tatsächlich zahllos in tropischen Regenwäldern zu finden gibt. Davon zeugt allein schon der geradezu ohrenbetäubende Lärm, den nicht nur Singvögel, quakende Baumfrösche und Erdkröten verursachen, sondern insbesondere das beinahe endlose Schwirren der Zikaden und das Schrillen der Heuschrecken und Grashüpfer.
Allmählich kommt aber Routine in die Arbeit der beiden Naturaliensammler. In den ersten Wochen sind sie bereits kurz nach Sonnenaufgang und einem Kaffee unterwegs, um unter einem wolkenlos blauen Himmel Vögel zu jagen, solange die Temperatur noch angenehm ist. Nach einem Frühstück widmen sie sich von zehn bis etwa zwei oder drei Uhr nachmittags vor allem den Insekten, bevor die größte Hitze des Tages alles Leben lähmt. Wenn Wallace und Bates ermüdet vom Ausflug in den Wald zurückkehren, finden sie ihre Nachbarn bereits träge und schlafend in ihren Hängematten im Schatten. Bald türmen sich die Wolken, Wind kommt auf, und am Nachmittag geht der übliche Regenguss nieder, bevor alles Leben wieder erwacht, die Nachtschicht einläutet und dann mit der aufgehenden Sonne der Zyklus von Neuem beginnt; Tag ein, Tag aus, ein Ablauf wie mit den
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