Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Jahreszeiten Frühling, Sommer und Herbst an nur einem einzigen Tag. Nach einer Mahlzeit gegen vier und Tee um sieben versorgen Wallace und Bates am Abend ihre Ausbeute, präparieren die Vogelbälge, nadeln die Insekten und machen ihre Aufzeichnungen. Dennoch streifen sie allenfalls die Oberfläche des Reichtums dieser tropischen Wälder; und sie wissen es. Wallace, der sich mit Bates beinahe täglich einen Pfad durch den Urwald freischlagen muss, notiert prophetisch: »Die ganze Pracht dieser tropischen Regenwälder ließe sich am besten überblicken, wenn man gemächlich mit einem Ballon über die Wipfel der Bäume, die einem wogenden blumigen Teppich gleichen, hinweggleiten könnte. Dieses Vergnügen wird wohl den Reisenden zukünftiger Zeiten vorbehalten sein.«
Vier Monate bleiben sie in Pará, sammeln in der Umgebung der Stadt. Und nachdem Moskitos und Zecken, Ameisen und Wespen sie anfangs erfolgreicher aufspürten, als sie umgekehrt Insekten und Spinnentiere sammeln können, machen sie endlich reiche Beute. Über 1300 verschiedene Arten von Insekten gehen ihnen allein in den ersten zwei Monaten ins Netz, insgesamt rund 7000 Exemplare, einschließlich zahlloser Pflanzen. Die erste Frachtkiste an ihren Agenten Samuel Stevens in London verzeichnet 553 Arten an Tag- und Nachtfaltern, 450 Käferarten und 400 weitere Spezies aller Gruppen; viele davon sind noch unbeschrieben und finden rasch dankbare Abnehmer in England. Samuel Stevens, der damit guten Gewinn für beide erzielt, ist hocherfreut – und auch ein wenig erleichtert, dass seine beiden neuen Geschäftspartner in Übersee sich nicht als nutzlose naturkundliche Novizen erweisen. Tatsächlich geht ihre Rechnung auf; Wallace und Bates können die Kosten ihres Unternehmens und ihre Weiterreise entlang des Amazonas und seiner Nebenflüsse aufbringen. Sie bleiben dabei gänzlich auf sich gestellt und ohne Unterstützung, verdienen auf diese Weise aber für die kommenden Jahre ihren Lebensunterhalt. Anders als etwa Charles Darwin, der an Bord der »Beagle« als selbst zahlender Gast und standesgemäßer Begleiter des Kapitäns Robert Fitzroy (und eben nicht als ausgebildeter Naturforscher, wie er uns später glauben machen will) entlang der Küsten Südamerikas segelte, in vergleichsweise komfortablen Umständen.
Ende August brechen Bates und Wallace auf, um den ein Stück stromaufwärts hinter Pará in den Amazonas einmündenden Seitenarm des Rio Tocantins gen Süden zu befahren; 1600 Meilen, fünf Wochen Bootsfahrt und wichtige Erfahrungen liegen vor ihnen. Die Fahrt auf einem schweren Eisenboot von über sieben Meter Länge, mit einem mit Palmwedeln gedeckten Aufbau und zwei Masten samt Segel, das ein Kanadier im Holz- und Kautschukgeschäft für sie organisiert, verzögert sich um eine Woche, nachdem sich Teile der Mannschaft aus vier Indianern und einem schwarzen Koch erst einmal aus dem Staub machen; durchaus nicht unüblich, wie die beiden in den kommenden Jahren mehrfach erfahren werden. Dann geht es los und schon einen Tag hinter Pará entdecken sie neue Arten von Schmetterlingen und anderen Insekten, eine Schlange und ein Faultier, das als Dinner endet. »Wir erreichten einen Punkt ungefähr dreißig Kilometer unterhalb Aroyas, von dem aus ein großes Kanu in der Trockenzeit nicht weiterkommt, wegen der Stromschnellen, Wasserfälle und Strudel, die hier beginnen und die Schifffahrt auf diesem majestätischen Strom mehr oder minder bis zur Quelle behindern; hier mussten wir unser Fahrzeug zurücklassen und in einem offenen Boot weiterfahren, in dem wir ungeschützt saßen, wofür wir allerdings entschädigt wurden: der Fluss (anderthalb Kilometer breit), übersät mit felsigen und sandigen Inseln jeder Größe und bedeckt von einer üppigen Vegetation; die hohen, gewundenen Ufer, bestanden von einem dichten, aber malerischen Urwald; die Wasser dunkel und klar wie Kristall; und die Aufregung der sausenden Fahrt durch furchterregende Stromschnellen sorgte für die nötige Unterhaltung in der heißen Äquatorsonne und einer Temperatur, die bei 32 Grad im Schatten lag.« Schnell haben sie hier das Sammelmaterial für eine weitere Frachtsendung an Stevens zusammen, wieder hauptsächlich Insekten, vor allem Schmetterlinge und Käfer; dazu auch Süßwassermuscheln und jetzt sogar einige Vogelbälge. Stevens verkauft auch diese Naturalien; und er sorgt dafür, dass – wenngleich nur in Auszügen – erstmals auch ein Bericht von Wallace über ihre
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