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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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tropischen Hitze selbst entzündet, wird ihr Reisbett zum Brandbeschleuniger und lässt schnell auch andere Teile der Ladung Feuer fangen. Den zweiten Fehler begeht Kapitän Turner, dessen Mannschaft offenbar auch einfachste Vorgänge nicht vertraut sind, als der Schwelbrand unter Deck immer mehr Rauch entwickelt. Statt den Brand zu ersticken, lässt er die Luken zum vorderen Niedergang öffnen; so entfacht der frische Luftzug das Feuer erst richtig, das umso größer lodert. Nachdem seine Männer über Stunden vergeblich versucht haben, mit Eimern voller Wasser, die sie auf die Ladung schütten, den Brand zu löschen, kommt dem Kapitän ein dritter unseliger Einfall. Er lässt den Schiffszimmermann eine Öffnung in den Kajütenboden sägen, um von oben besser an den Brandherd zu kommen. Doch verbessert er damit abermals die Luftzufuhr für die Flammen. Schließlich wird aus dem Schwelbrand unter dem Vorderdeck ein veritables Feuer, das auf andere Teile des Schiffes übergreift. Immer schneller fressen sich die Flammen dann voran – nach hinten, nach unten und oben.
    An Deck herrscht bald wildes Chaos. Während einige der Männer weiter Wasser über die Planken schütten, machen andere am Heck die Rettungsboote klar. Hastig werden diese mit Fässern voller Trinkwasser beladen, Zwieback und andere Lebensmittel werden verstaut; die Ruder und ein kleiner Mast samt Segel müssen zusammengesucht werden. Mittendrin der Kapitän, der Kommandos hierhin und dorthin gibt. Wallace steht gefasst, aber hilflos dabei und sieht zu, wie die Männer die Boote schließlich zu Wasser lassen. Als der Kapitän in seine Kajüte geht, um mit Seekarten und Sextant, Kompass und Chronometer in den Händen zurück an Deck zu kommen, ist das ein sicheres Zeichen. »Retten Sie, was Sie können!«, ruft Turner Wallace zu. »Ich befürchte, wir verlieren das Schiff.« Im Bauch der »Helen« blubbert der Balsam da schon wie flüssige Lava; längst hat das Feuer auf alle Teile der Ladung übergegriffen, schmort das Kautschukgummi und entfacht die Piassavafasern.
    Wallace kann nicht glauben, was passiert. Seine Kajüte ist schon voller beißendem Rauch, als er hinunterstürzt. Es ist unerträglich heiß, gleich wird alles in Flammen aufgehen, knisternd und knackend züngelt das Feuer gefährlich nahe heran. Er tastet um sich, greift eine Blechkiste mit ein paar Hemden darin, findet seine Uhr und etwas Geld, das er ebenso hineinwirft wie ein Packen mit seinen Zeichnungen – Bleistiftskizzen, die er von den Fischen und Palmen am Rio Negro und Rio Uaupés angefertigt hat, dazu seine Notizen zu Vorkommen und besonderen Kennzeichen. Wallace greift auch zwei Bände seines Reisetagebuchs, die er in dem Rauch und der Hitze eher zufällig zu fassen bekommt, und seine Aufzeichnungen für eine Karte vom oberen Rio Negro. Alles andere – Ausrüstung, Bücher, Instrumente, Kleider – muss er zurücklassen. Es gibt keine Chance, die einmalige Naturaliensammlung aus Amazonien zu retten, die im Schiffsrumpf bereits in Flammen aufgeht und zu Asche verkohlt.
    Als die Takelage und die Masten der »Helen« Feuer fangen, gibt Kapitän John Turner am Nachmittag sein Schiff auf und befiehlt alle Mann in die Boote. Wallace muss sich an einem Tau zu einem der beiden Boote abseilen; geschwächt wie er noch immer ist, entgleitet es seinen Händen, die Haut wird beim Fallen abgescheuert, jede Berührung mit Meerwasser brennt fortan höllisch. Kaum haben sie sich einige Ruderlängen vom Schiffsrumpf abgestoßen, können die Männer in ihren Rettungsbooten nur hilflos zusehen, wie das ganze Deck in Flammen steht. Schließlich fangen die Segel Feuer und die Masten stürzen um. Als Erster der Großmast, »aber der Fockmast stand noch eine lange Zeit aufrecht und erregte unsere Bewunderung und unser Staunen«, so Wallace später in seiner Schilderung der Katastrophe. Seine Menagerie lebender Tiere vom Amazonas erwähnt er nur kurz. Durch den Rauch hört er, wie sie unter Deck verzweifelt kreischen und toben; sie werden bei lebendigem Leib verbrennen. Nur wenige können sich befreien und den Flammen am Vorderdeck entkommen. »Einige der Papageien und Affen«, so erinnert sich Wallace, der das grausige Schauspiel vom Boot aus ansehen muss, »hatten sich auf den Bugspriet zurückgezogen«; so weit weg wie möglich von den immer höher lodernden Flammen. Als auch der Feuer fängt, rennen seine Wollaffen zurück und werden vom Feuer am Bug verschlungen. Nur ein Papagei kann sich an

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