Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
aber nächstverwandte Arten sind. Wallace sortiert sämtliche Formen nach Spezies und Sammelort – und er notiert seine Eindrücke und Überlegungen.
Bei seiner Reise ans Ende des Archipels stößt er auf diese Weise in neue Regionen vor – als Reisender und als Denker. Seine Gedanken zu Vorkommen und Verbreitung der Tiere verwandeln nicht nur ihn, sondern die Naturkunde – und schließlich unser Verständnis von uns selbst. Sie helfen ihm, auf die Idee von Abstammung und Auslese zu kommen und so das Arbeitsprinzip der Evolution zu durchschauen. Ungleich wichtiger noch als die überaus reiche Materialiensammlung ist Wallace’ Reise, was seine beiden wohl wichtigsten Abhandlungen angeht. Die eine schreibt er Anfang 1855, noch ist kein Jahr seit seiner Ankunft im Archipel vergangen, in Sarawak im Norden Borneos. Die andere ist jener berühmte Aufsatz, den er drei Jahre später, Anfang 1858, von der Gewürzinsel Ternate an Charles Darwin schicken wird. Beide Arbeiten erwähnt er nicht einmal in seinem Reisewerk über den Malayischen Archipel. Es sei eines der vielen Zeichen seiner ihm eigenen Bescheidenheit, urteilen seine Biographen.
Seine Aufzeichnungen folgen dabei einem immer gleichen Muster; er notiert, was er sieht, die Tiere, wie sie gefärbt sind, ihren Fang: »In den ersten Tagen erlebte ich einen schönen gelbgrünen Trogon (Harpactes reinwardtii), den prächtig kleinen grauen Fliegenfänger (Pericrocotus miniatus), der gleich einer feurigen Flamme zwischen den Büschen flattert, und den seltenen und eigentümlich schwarz und karmesinrot gefärbten Pirol. Alle diese Arten sind nur in Java gefunden und scheinen sogar auf den westlichen Teil begrenzt zu sein. In einer Woche bekam ich nicht weniger als 24 Vogelspezies, und in 14 Tagen wuchs diese Zahl an auf 40 Spezies. Große und schöne Schmetterlinge waren auch ziemlich zahlreich. In dunklen Hohlwegen fing ich den herrlichen Papilio argyna, dessen Flügel gepudert erscheinen mit Körnchen von goldenem Grün, verdichtet in Bändern und mondförmigen Flecken.« Lange ist es bei Wallace nur konstatierendes Beobachten, kein Entdecken von Neuem; lange ist er in erster Linie ein naturkundlicher Sammler, der stets akribisch die Zahl der von ihm gesammelten Tiere notiert.
Überhaupt verrät der Bericht seiner Reise, so anschaulich Wallace diese in allen Details schildert, wenig darüber, was ihn wirklich antreibt; abgesehen von dem offenkundigen Umstand, dass er durch das Sammeln von Naturalien für sein Auskommen und seinen Ruf sorgen will. Einige Wissenschaftshistoriker wie John Langdon Brooks vermuten sogar, Wallace habe in seinem Reisebericht ganz bewusst Hinweise auf die Theorie von der Entstehung der Arten ausgelassen. Als sein »Malayischer Archipel« 1869 erscheint, den er übrigens Charles Darwin in großer Hochachtung widmet, steht dieser samt ihrer gemeinsamen Theorie im Kreuzfeuer der Kritik. Möglicherweise will Wallace die nicht noch weiter befeuern. Wir werden also andere Zeugnisse und Quellen befragen müssen. Erst darin zeichnet sich ab, dass Wallace gleich am Beginn seiner Reise durch den Archipel – und ohne es selbst schon zu wissen – an einem der wichtigsten Meilensteine im Wettlauf um die Evolutionstheorie angekommen ist.
Von der Jagd auf Tiger und Käfer – Singapur und Malaka: »Ich hatte beschlossen, ab dem ersten Tag meines Aufenthalts im Osten von allen Inseln und spezifischen Lokalitäten, die ich besuchte, eine vollständige Sammlung von bestimmten Gruppen anzulegen, um sie nach der Rückkehr für eigene Forschungen zu nutzen; denn ich war sicher, dass ich dadurch ein äußerst wertvolles Material erhielt, das mir dabei helfen konnte, die geographische Verteilung von Tieren im Archipel zu erarbeiten und außerdem Licht in etliche andere Probleme zu bringen«, lesen wir in Wallace’ Autobiographie. Also doch: Spricht hier nicht der Forscher, der – wenngleich im Rückblick – darlegt, was ihn im Gelände umgetrieben hat, welche Fragen ihn angetrieben haben? Eines dieser anderen Probleme, wie Wallace es nennt, ist zweifelsohne jene ewige Frage nach der Entstehung von Arten. Das im Grunde beste Anschauungsmaterial dazu läuft Wallace in Singapur ständig vor die Füße – es ist der Mensch selbst.
»Wenige Plätze sind für den Reisenden aus Europa in dieser Hinsicht interessanter als die Stadt und die Insel Singapur«, schreibt Wallace; denn kaum irgendwo käme man mit mehr asiatischen Rassen unterschiedlichster Religion und
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