Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Lebensweise in Berührung. Wallace ist offenbar seit seiner frühesten Kindheit an der walisischen Grenze von den verschiedenen Ausprägungen des Menschen fasziniert. Singapur, unter britischer Hoheit, angetrieben durch chinesische Händler und andere Kaufleute, ist ein Querschnitt unterschiedlichster Kulturen und Schmelztiegel von einheimischen Malaien, Portugiesen aus Malaka, Indern, Bengalen und Parsen, Javanern, Chinesen und Kaufleuten aus aller Welt – eine pulsierende Stadt und ein Mikrokosmos einer zunehmend weltumspannenden Migration. Wohin sich Wallace später im indo-australischen Archipel wendet, stets ist er aufs Neue von den verschiedenen Menschenformen gefesselt, denen er begegnet. Für jede neue Insel, die er bereist, schildert er in seinem Bericht die dort ansässigen Rassen, wie es bei ihm heißt – dem Sprachgebrauch seiner Zeit entsprechend; auch welche Sprache sie sprechen, ihre besonderen Merkmale, wie und wovon sie leben. Und er notiert die rasanten Veränderungen, denen die Menschen sogar auf abgelegenen Inseln des Archipels ausgesetzt sind. Er sorgt sich um ihre Zukunft angesichts der immer weiter vorrückenden Zivilisation.
Wallace ist heute in Fachkreisen vor allem deshalb ein Begriff, weil er eine nach ihm benannte Trennlinie der Tierwelt ausmacht, die mitten durch den Archipel verläuft. Was indes selbst Fachleute kaum wissen: Es waren seine ethnologischen Beobachtungen an den Bewohnern der Region und eben nicht an der Tierwelt, wie bislang immer angenommen, die Wallace zuallererst auf den Gedanken einer markanten Grenzlinie bringen. »Noch ehe ich zu der Überzeugung gelangt war, dass die östlichen und westlichen Hälften des Archipels zu verschiedenen Haupterdteilen gehörten, fühlte ich mich veranlasst, die Einheimischen des Archipels unter zwei radikal voneinander verschiedene Rassen zu gruppieren«, schreibt er einleitend im »Malayischen Archipel«. Allerdings ist die Position der beiden Linien, für die Tierwelt und für den Menschen, nicht vollständig deckungsgleich, wie wir noch sehen werden. Das aber mache sie nicht weniger bemerkenswert, meint Wallace. Es sei in jedem Fall mehr als bloßer Zufall, dass beide Grenzen just in der gleichen Region und trotz allem sehr eng benachbart lägen, fährt er in seinem Reisebericht fort. Den verschiedenen Ethnien und ihrem Miteinander im Archipel widmet Wallace in seinem Werk ein eigenes, das letzte und abschließende Kapitel. Es ist ein Hinweis mehr, dass er den Menschen stets im Blick hat, auch wenn er nach Paradiesvögeln und Papilioniden sucht.
Kurz nach der Ankunft in Singapur findet Wallace Quartier in einer römisch-katholischen Mission, geleitet von einem französischen Jesuiten. Sie ist in Bukit Timah gelegen, einige Kilometer außerhalb der Stadt beinahe mitten auf der Insel und umgeben von Dschungel. Dort leben sogar noch Tiger. Beinahe jeden Tag werde ein Chinese von einer dieser Raubkatzen getötet, berichtet Wallace. Er selbst bekommt aber keine zu Gesicht, sondern entdeckt nur einige Abdrücke von Tatzen. Und er entgeht mit Glück einer jener getarnten, tiefen Grubenfallen, in der die Einheimischen versuchen, Tiger zu fangen. Darin aufgepflanzte Bambusspeere dürfen sie nicht mehr verwenden, nachdem unglücklicherweise ein Reisender und nicht ein Tiger zu Tode kam, als er versehentlich in eine dieser Gruben stürzte.
Die Hügel um Bukit Timah sind Wallace’ erstes Jagdgebiet in Asien; zu seiner Überraschung erweist sich die Gegend als überaus reich an Käfern. »In nur zwei Monaten brachte ich nicht weniger als 700 Arten zusammen, von denen eine große Anzahl neu war; darunter waren allein 130 verschiedene Arten der eleganten Bockkäfer (Cerambycidae), die Kenner so sehr schätzen.« Was man indes wissen muss: Wallace profitiert beim Sammeln kurzfristig von der Zerstörung der ursprünglichen Tropenwälder auf der Insel Singapur, und das gleich zweifach. Es sind vor allem Chinesen, die unablässig den Wald roden, für Gemüse und Pfefferplantagen (kein Wunder, dass die Tiger dort bald nur noch Menschen als Beute finden). Wallace nutzt nicht nur die breiten Schneisen, die so entstehen, um immer weiter in den Wald vorzudringen; vorübergehend bieten die gerodeten Freiflächen mit ihrem Übermaß an abgeschlagenem Baumholz, Laub und Sägespänen gerade holzfressenden Bockkäfern einen idealen Lebensraum, der indes bald ihr letzter sein wird.
Die erste Frachtsendung, die Wallace bereits Ende Mai 1854, fünf Wochen nach
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