Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
angewandten Biogeographie. Erst im Frühjahr 1856 hat er offenbar genug Belege und Beispiele, um sich wieder an seine Artentheorie zu machen und sein »Species Book« zu verfassen, geplant als ein mehrbändiges Werk. Zwölf Jahre sind vergangen, seit Chambers’ »Vestiges« für ihn zum heilsamen Schock wurde.
Als Samuel Stevens den Herausgebern der Fachzeitschrift »Annals and Magazin of Natural History« das Manuskript mit Wallace’ Sarawak-Aufsatz weiterreicht, entschließen die sich umgehend zur Veröffentlichung. Im September 1855 erscheint der Essay, allerdings wenig geschickt platziert zwischen zwei sehr speziellen und vergleichsweise unbedeutenden zoologischen Arbeiten. Nichts passiert. Erst allmählich setzt der Artikel jene Kette von Ereignissen in Gang, die im Folgenden rekonstruiert werden. Das ist auch die Gelegenheit, mit einigen weiteren Missverständnissen aufzuräumen, die sich um Wallace’ Sarawak-Aufsatz ranken. Denn anders als Wallace selbst anfangs glaubt, und vielfach nach ihm noch vermutet wird, wurde seine Arbeit sehr wohl von einflussreichen Naturforschern seiner Zeit beachtet; von Darwin allerdings nur mehr mit Verspätung, wie wir gleich sehen werden. In Wallace’ Artikel finden sich mit der Erwähnung und Diskussion sowohl der Galapagosinseln als auch des Stammbaums zudem gleich zwei geradezu ikonographische Metaphern, die heute üblicherweise allein Darwin zugeschrieben werden; sie müssen wir hier zuerst noch näher untersuchen.
Für Alfred Russel Wallace jedenfalls besteht kein Grund, sich nicht freudig und stolz seines Sarawak-Artikels zu erinnern. Doch typisch für seine (wie wir noch mehrfach sehen werden) falsche Bescheidenheit ist, dass er in seinem Buch über die »Reise im Malayischen Archipel« diesen Sarawak-Essay oder gar seine Folgen nicht mit einem Wort erwähnt, geschweige denn seine frühere Idee zu einem Buch über die Entstehung von Arten. Und typisch auch, dass er auch in seinen Lebenserinnerungen dieser Sarawak-Episode kaum mehr als gerade einmal eine Seite widmet, und dies erst ganz zum Schluss seines Kapitels über Borneo.
Ein Irrtum und zwei Legenden: Als Wallace über viele Monate 1855 und auch während des darauf folgenden Jahres nichts zu seinem Aufsatz über das Naturgesetz organismischen Wandels hört, wird er unruhig. Ist er vielleicht auf dem langen Postweg nach England verloren gegangen? Hat wirklich niemand von seinem Essay und seiner Theorie Kenntnis genommen? Warum erhält er dazu keinerlei Kommentare? Er bekommt sie, allmählich und mit einiger Verzögerung. Auch ist es ein weitverbreiteter und vielfach gepflegter Irrtum, dass Wallace zu dieser Zeit kaum jemandem in den viktorianischen Naturforscher-Zirkeln bekannt ist und dass noch weniger seine Arbeiten lesen. Wir wissen heute, dass sein Essay aus Sarawak von einigen einflussreichen Zeitgenossen sehr wohl in seiner Bedeutung wahrgenommen wurde, mögen sie nun seine Ansichten teilen oder nicht. Allerdings macht Wallace es ihnen nicht ganz leicht, da er sein neues Gesetz allzu unbestimmt formuliert, wie einige später anmerken. Auch habe er das Schlüsselwort »transmutation« nicht verwendet, mit dem die Evolution damals bezeichnet wird. Und schließlich hätte er vielleicht den Unterschied gegenüber der Schöpfungstheorie deutlicher herausstreichen sollen, was ebenfalls immer geeignet ist, große Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht deshalb wird sich der von Wallace bewunderte Zoologe Thomas Henry Huxley später erinnern: »Als ich jüngst den Artikel von Wallace nochmals las, war ich überrascht, wie er damals nur einen so geringen Eindruck auf mich machen konnte.«
Anders ist es bei dem Geologen Charles Lyell, den Wallace in seiner Arbeit mehrfach als Kronzeuge für die geologischen Befunde gegen Forbes ins Feld führt. Als Lyell den Sarawak-Aufsatz am 26. November 1855 liest, eben von einer Reise auf die Kanaren und andere Inseln im Atlantik zurückgekehrt (wie wir aus seinen Tagebüchern und Briefen wissen), wird er nachdenklich. Das äußert sich, wie vielfach in solchen Fällen, darin, dass Lyell nun ein neues Notizbuch anlegt, um darin seine weiteren Gedanken und Überlegungen zu möglicherweise sich doch verändernden Arten festzuhalten. Doch anders als Wallace und Darwin ist Charles Lyell weder zu diesem Zeitpunkt noch später von ihrer Theorie der Entstehung von Arten überzeugt. Lyell kommt zwar zu anderen Schlüssen, wie er in späteren Ausgaben seiner Bücher erkennen lässt. Das
Weitere Kostenlose Bücher