Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
segeln; er spannt sie beim Sprung wie kleine Fallschirme auf und gleitet so von Baum zu Baum zwischen den Stockwerken der tropischen Urwaldvegetation. Für Darwinisten werden sie interessant, weil sie zeigen, welche Rolle Variationen für den immerwährenden ziellosen Wandel des Lebens spielen und wie sich in diesem Fall einstige Schwimmhäute zur Hilfe beim Gleitflug umgestalten.
Das Notizbuch zur Artenfrage: Während Flugfrösche und andere Bewohner des Regenwaldes jeweils auf ihre Weise und ganz unmittelbar ihr Überleben sichern, setzt sich Wallace auf Borneo vor allem theoretisch mit der Entwicklung der Arten auseinander. Wieder nimmt er dazu sein »Species Notebook« zur Hand, als er sich mit den Gedanken derjenigen beschäftigt, die vor ihm ebenfalls mit der Idee eines Artenwandels gerungen haben, etwa ein Lamarck, Chambers und vor allem Charles Lyell.
Nur wenige Wissenschaftshistoriker, allen voran Lewis McKinney, aber auch Barbara Beddall und John Langdon Brooks, haben dieses Arten-Notizbuch bisher überhaupt ausgewertet. Wir wollen hier wenigstens einen kurzen Blick hineinwerfen. Brooks ist der Ansicht, dass insgesamt fünfundzwanzig Blätter, nummeriert als Seiten 31 bis 55, zwischen Juni 1855 (als Wallace am Sadong-Fluss auf Borneo ist) und März 1856 (da ist er zurück in Singapur) entstanden sind. In dieser Zeit macht Wallace darin kurze Notizen, überschrieben und zu Themen wie »Proof of Design« oder »System of Nature«, daneben aber auch Anmerkungen zum Skelett von Vögeln oder speziell dem Schnabel der Nashornvögel.
Die eigentlich spannenden Notizen zur Artenfrage finden sich auf den Seiten 34 bis 53. Hier legt Wallace kurze Auszüge dessen an, was er in den Arbeiten des britischen Geologen Charles Lyell gelesen hat, vor allem in dessen Buch über die Prinzipien der Geologie, womit er nun ganz und gar nicht mehr einverstanden ist. Lyell hatte wichtige Einsichten in die Dynamik geologischer Vorgänge auf der Erde; eine Dynamik, die Wallace auch bei den Lebewesen am Werke sieht, ähnlich wie vor ihm auch Darwin, der Lyell bereits früher gelesen hat. Doch anders als die beiden wird Lyell lange noch glauben, dass Arten konstant sind und sich allenfalls in bestimmten engen Grenzen verändern; auch nimmt er an, dass selbst sehr ähnliche Arten an entfernt voneinander liegenden Örtlichkeiten jeweils unabhängig voneinander erschaffen wurden. Dass sie räumlich und zeitlich aufgrund ihrer gemeinsamen Abstammung zusammenhängen, erkennt er selbst nicht. Wallace dagegen überträgt Lyells eigene Idee einer allmählich und fortwährenden natürlichen Ursache in seinem Sarawak-Aufsatz konsequent von den geologischen auf biologische Phänomene. Aus seinem Notizbuch sehen wir, wie Wallace sich gegen die Annahme wendet, Arten könnten einmal erschaffen stets unveränderlich bleiben; er sammelt hier weitere Überlegungen und Hinweise dafür, dass sich Arten entwickeln. So finden sich etwa Notizen zur Entstehung von Arten auf Inseln, wie Wallace dies bereits mit seinem Galapagos-Beispiel im Sarawak-Aufsatz angedeutet hat. Auf Seite 35 seines Notizbuches beginnt er dann jene »Note for organic law [of] change« und entwirft einen ersten Plan für sein Arten-Buch.
Anders als Lewis McKinney, der das Notizbuch von Wallace als einer der Ersten ausführlich gewürdigt und der es auf den Beginn seines Aufenthalts in Sarawak datiert hat, ist John Langdon Brooks überzeugt, dass die eigentlichen Artennotizen erst ab Ende Juni 1855 entstanden. Bis dahin ist Wallace viel im Gelände unterwegs – das Wetter wird zunehmend sonniger, es gilt die vielen Käfer einzufangen, vor allem aber ist er mit den Orang-Utans beschäftigt. Doch dann verletzt er sich zwischen umgestürzten Bäumen im Wald den Fuß; der entzündet sich und ein Geschwür zwingt Wallace im Juli und August zur Ruhe. Wie immer, wenn er nicht sammeln kann, beginnt er nachzudenken, zu spekulieren und Manuskripte für seine Aufsätze zu schreiben. Viele seiner Arbeiten entstehen auf diese Weise bereits unterwegs. Jetzt am Sadong-Fluss, zum Gefangenen seines Fußes geworden, entwickelt Wallace seine Überlegungen weiter. Die Aufzeichnungen dazu wird er während der zweiten Regenzeit, die er in Sarawak verbringt, und anschließend in Singapur fortsetzen, als er erneut festsitzt und lange auf eine Passage nach Makassar auf der Insel Celebes warten muss. Auch später wird Wallace darin immer wieder einmal Gedanken zur Artenfrage notieren, etwa auf den Seiten 66
Weitere Kostenlose Bücher