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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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gleich nochmals zu sprechen). Doch Mayr irrt insofern, als Darwin bereits im Frühjahr 1856 aktiv wird. Andererseits fragen sich Barbara Beddall und auch der Biograph Ross Slotten, ob Darwin nicht sogar schon kurz nach Erscheinen des Aufsatzes, also im Winter 1855, auf diesen aufmerksam wird, wie auch Lewis McKinney glaubt. Da ist Darwin gerade mit seinen eigenen Studien und Arbeiten für die Abstammungstheorie beschäftigt. Oder liest Darwin ihn doch erst Monate später, im Frühjahr 1856, als es dafür einen weiteren konkreten Anlass gibt?
    Zwar weiß auch John Langdon Brooks nicht sicher zu sagen, wann denn Darwin nun Wallace’ Aufsatz liest. Er aber hat festgestellt, dass Darwin diesen Aufsatz gleich zweimal gelesen haben dürfte, und zwar zu unterschiedlichen Zeiten. Brooks stützt dies auf eine detektivische Spurensuche, die ihn just Darwins eigenes Exemplar der »Annals« ausfindig machen ließ, das sich heute in der Bibliothek der Universität Cambridge befindet. Hier im ehrwürdigen Anderson Room, wo nur Spezialisten die Original-Aufzeichnungen und Dokumente Darwins untersuchen dürfen, kann man handschriftliche Anstreichungen und Anmerkungen in ebenjenem Exemplar entdecken, in dem Darwin den Aufsatz von Wallace gelesen hat. Es sind immerhin insgesamt 35 Markierungen und fünf Anmerkungen samt einer recht interessanten kleinen Skizze. Das Kuriose dabei: Trotz all dieser Anstreichungen irrt sich Darwin hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung von Wallace’ Aufsatz. Zudem hat Brooks entdeckt, dass es zwei verschiedene Arten von Anstreichungen aus der Hand Darwins gibt, die offenbar mit zwei verschiedenen Bleistiften gemacht wurden. Einer mit weicherer Mine hinterließ breitere und markantere Anstreichungen; der andere war härter und hinterließ dünnere und schärfer begrenzte Striche und Zeichnungen. Unglaublich, was der spürsinnige Historiker daraus schließt! Brooks legt in seiner Studie der Vorgänge erstens die Möglichkeit nahe, dass Darwin erst beim zweiten Lesen die volle Bedeutung von Wallace’ Sarawak-Arbeit in seiner ganzen Tragweite erkennt. Und zweitens, was noch schwerer wiegt, dass Darwin möglicherweise in erheblichem Maße von Wallace’ Aufsatz aus dem Jahre 1855 profitiert haben könnte (also nicht erst später durch die Ternate-Arbeit 1858!). Denn Darwin habe sich an verschiedenen Stellen bei Wallace für die Ausarbeitung seiner eigenen Theorie bedient. Das wäre zwar legitim, denn wozu sonst publizieren Forscher ihre Erkenntnisse, wenn andere sie dann nicht verwenden sollen? Doch vergisst Darwin allzu oft zu erwähnen, was von seinen eigenen Überlegungen sich auch in den Veröffentlichungen anderer findet, gar auf diese zurückgeht. Durchaus keine lässliche Sünde, auch wenn sie bedauerlicherweise gleichsam so etwas wie der rote Faden ist, der sich durch die Geschichte so mancher Wissenschaftsdisziplin zieht (bis heute oder heute sogar noch mehr). Ebenso wie andere wird auch Wallace später bei Darwin allenfalls am Rande erwähnt; mit keinem Wort aber der Sarawak-Aufsatz oder gar, welche Rolle dieser für Darwin tatsächlich spielt.
    Halten wir also die Ansicht der meisten Historiker fest, dass Darwin wenigstens bei der ersten Lektüre von Wallace noch nicht die Bedeutung dessen erkennt, was dieser denkt und ebenfalls entdeckt hat. Wallace macht es ihm, wie gesagt, insofern schwer, als er nicht ausdrücklich von einer »Transmutation« schreibt, sich also anders und für Darwin eben noch missverständlich ausdrückt. Die beiden Darwin-Biographen Adrian Desmond und James Moore bestätigen, dass Darwin durch die Wortwahl von Wallace irregeleitet wird. »It seems all creation with him«, notiert Darwin in einer Randnotiz nach der Lektüre des Sarawak-Aufsatzes (der ersten, wenn wir Brooks hier folgen wollen). Irrigerweise hält er Wallace sogar für einen Anhänger des Schöpfungsglaubens; ohne zu ahnen, wie unabhängig dieser in seinem Denken inzwischen von solchen Dogmen und religiösen Überzeugungen geworden ist und wie viel empfänglicher für die Argumente etwa eines Chambers’ oder Lyells. »Nothing very new« – nichts sonderlich Neues, notiert Darwin zudem. Nachweislich findet sich vieles von Wallace’ grundsätzlichen Ideen, aber auch ganz konkret einzelne Formulierungen bereits in den Texten von Robert Chambers’ »Vestiges«, so haben Historiker wie Lewis McKinney und Joel Schwartz angemerkt; und sie zeigen auch, welche Passagen von Chambers wiederum auf Lamarck

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