Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Fenster. »Wer tut so etwas? Wer, verdammt, tut das? Hat die Polizei bei dir eine Vermutung durchblicken lassen?«
Jessicas Kopfschmerz, der sich ein wenig zurückgezogen hatte, zückte wieder die Krallen. »Dieser Superintendent Norman hat angedeutet, er vermute eine interne Geschichte.«
Leon starrte sie verblüfft an.
»Eine interne Geschichte? Er meint, es war einer von uns?«
»Er hat das so direkt nicht gesagt. Aber er scheint die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.«
»Ach du Scheiße«, sagte Leon. »Das ist doch nicht zu glauben! Einer von uns? Wer kommt da in Frage? Du und ich und Evelin! Was für ein Blödsinn!«
»Und Ricarda. Ricarda hat auch überlebt und ist zudem nicht auffindbar.«
»Ricarda ist ein fünfzehnjähriges Mädchen!«
»Aber sie zu verdächtigen ist nicht absurder, als uns zu verdächtigen! «
»Stimmt. Na, toll. Ich würde sagen, ich stehe an vorderster Stelle im Rampenlicht, nicht wahr? Ich bin der einzige überlebende Mann. Und Männern traut man Gewaltverbrechen am ehesten zu. Zudem hatte ich hohe Schulden bei Tim, die Ehe mit meiner Frau bestand nur noch auf dem Papier, meinen Töchtern hätte ich in nicht allzu ferner Zeit nicht den kleinsten materiellen
Wunsch mehr erfüllen können. Was liegt da näher, als die Familie einfach auszulöschen, und dazu den Mann, der mir seit Wochen die Pistole auf die Brust setzt, weil er sein Geld zurückhaben will?«
»Du vergißt Alexander.« Es würgte sie, seinen Namen aussprechen zu müssen. »Alexander ist auch tot.«
»Ich konnte keinen Zeugen gebrauchen. Evelin ist mir irgendwie entwischt, du und Ricarda wart nicht da! Na bitte! Paßt doch alles!« Er ließ sich wieder in den Sessel fallen, lachte hysterisch. »Mr. Norman wird froh sein, den Fall so schnell zu lösen!«
»Du hast die ganze Zeit nur auf der Wiese gelegen?«
Er neigte sich vor, fixierte sie scharf. »Aha, du glaubst tatsächlich …«
Sie fühlte Zorn in sich aufsteigen. »Quatsch!« sagte sie scharf. »Nichts glaube ich. Aber ja, du hast recht, der Superintendent könnte bei dir Motive vermuten und dich in die Mangel nehmen, und darauf solltest du dich vorbereiten. Ich nehme an, er hat dich bereits gefragt, wo du warst, aber ich könnte mir vorstellen, seine Befragung würde um einiges intensiver und unangenehmer ausfallen, wenn tatsächlich der Schatten eines Verdachts auf dich fällt.«
»Der Schatten eines Verdachts! Du bist naiv. Der Schatten eines Verdachts liegt längst auf uns allen, wenn er tatsächlich meint, den Täter im inneren Kreis suchen zu müssen. Hat er dich gefragt, wo du warst? Klar hat er. Mich auch. Ich habe mit meinem Bankdirektor telefoniert, das läßt sich nachweisen, aber daß ich dabei meilenweit von Stanbury entfernt war, ist schon schwieriger zu belegen. Und dann? Dann habe ich tatsächlich stundenlang in einer Wiese gelegen. Zwischendurch bin ich aufgestanden und barfuß durch einen Bach gewatet. Ich habe ein paar Schafe gestreichelt. Ich habe mir zum erstenmal seit Monaten einen Abstand zu meinen Problemen erlaubt. Ich habe so getan, als sei ich allein auf der Welt, als gebe es nur mich, die Schafe, die Wiese, den Himmel. Ich hatte starke Herzstiche, die
sich auf wundersame Weise auflösten. Aber für all das habe ich natürlich keinen verdammten Zeugen. Nicht einen einzigen!«
»Leon«, begann sie, aber er ließ sie nicht ausreden. »Und du? Was hast du ihm gesagt? Du bist doch wahrscheinlich mal wieder stundenlang in der Gegend herumgestapft, und kein Mensch hat dich gesehen!«
»So ist es. Das habe ich ihm geschildert. Mehr kann ich ja auch nicht tun.«
»Du machst dir keine Sorgen, weil du kein Motiv hast, nicht wahr? Warum hättest du etwas so Grauenhaftes tun sollen? Die nette, sympathische Jessica, die sich auf ihr Baby freut und keiner Fliege etwas zuleide tun kann! Die …«
»Verdammt!« Sie funkelte ihn an, wütend und verletzt. »Hör auf, so mit mir zu reden! Ich habe meinen Mann verloren. Mein Baby hat seinen Vater verloren. Ich möchte nicht von dir angegriffen werden, nur weil deine Nerven plötzlich durchdrehen!«
Er wurde schlagartig ruhig. »Entschuldige«, bat er, »wirklich, entschuldige bitte.«
»Schon gut«, sagte Jessica.
Er stand wieder auf. »Es war dieser Phillip Bowen«, sagte er. »Die ganze Zeit, als ich mit Superintendent Norman sprach, hatte ich einen Gedanken im Hinterkopf, an den ich nicht herankam. Ich war zu geschockt, zu fassungslos, aber dauernd wußte ich, daß da was war. Phillip
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