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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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werden soll. Daß meine Schwester das alles schafft, kann ich mir nicht richtig vorstellen. Es ist einfach … so plötzlich gekommen. Wir müssen herausfinden, wie es weitergehen kann.«
    Sie hatte genickt. Er fragte sie, ob sie etwas gegessen habe seit dem Stopp an der Autobahnraststätte am Morgen, und diesmal schüttelte sie den Kopf. Natürlich war in der Scheune wieder einmal nichts aufzutreiben. Er ärgerte sich, daß er nicht daran gedacht hatte, wenigstens etwas Obst mitzunehmen, aber er war ja nicht einmal sicher gewesen, daß sie noch lebte. Nun gut, Essen konnte man nachholen. Schwieriger fand er es, ihr sagen zu müssen, was in Stanbury House passiert war.
    Er hatte sich dem Thema so vorsichtig genähert, daß sie eine Weile überhaupt nicht begriff, worauf er hinauswollte, und als sie schließlich verstand, war kaum eine Bewegung über ihr trotziges, verletztes Gesicht gegangen.
    »Ein Irrer hat sich dort rumgetrieben? Weißt du, ob Patricia tot ist?«
    Es klang nicht so, als ob sie diesen Fall bedauern würde. Er hatte den Kopf geschüttelt. »Keine Ahnung. Es gibt noch keine offizielle Erklärung der Polizei an die Presse, und wie üblich erzählt wohl jeder im Dorf etwas anderes. Vielleicht ist ja auch nur eine Person tot, und alles wird aufgebauscht.«
    Nur eine Person tot … Eine Bemerkung, die in seinen eigenen Ohren unendlich absurd klang.
    »Nun, dann ist es hoffentlich Patricia«, erklärte Ricarda, und Keith starrte sie entsetzt an. Wußte sie, was sie da sagte? War ihr überhaupt klar, was geschehen war?
    Sie läßt es nicht an sich heran, dachte er, sie hat sich völlig abgeschottet.
    Er empfand ihren Zustand als besorgniserregend, wußte aber nicht, was er dagegen hätte tun sollen.

    »Weißt du«, sagte er nach einer Weile, »du solltest nicht hierbleiben. In euer Haus darf im Moment niemand, aber ich könnte versuchen herauszufinden, wo sie deine Leute untergebracht haben. Dann könntest du zu ihnen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dein Vater macht sich bestimmt schreckliche Sorgen um dich«, versuchte Keith sie zu überzeugen.
    »Du weißt ja gar nicht, ob mein Vater noch lebt«, sagte Ricarda. Offensichtlich hatte sie durchaus etwas begriffen, hielt aber Distanz zu all den grausamen Möglichkeiten, die sich aus dem Gehörten ergaben. Auch als sie über ihren Vater sprach, veränderte sich nichts in ihrer Miene.
    »Bestimmt lebt er noch«, meinte Keith, obwohl er keineswegs dieser Überzeugung war, »und deshalb finde ich, du solltest …«
    »Nein.« Sie sagte das mit einer Bestimmtheit, die er an ihr bislang nicht gekannt hatte. »Ich gehe nicht zu ihnen zurück. Nie.«
    »Hör mal!« Keith wurde ungeduldig. »Da ist wirklich etwas Schlimmes passiert! Ich weiß ja auch nichts Genaues, aber offenbar hat irgendein Geisteskranker ein paar von deinen Leuten die Kehle durchgeschnitten und dann das Weite gesucht. Egal, was du gegen sie hast, aber dein Platz ist jetzt dort!«
    »Ich habe nichts mehr mit ihnen zu tun.«
    »Du kannst doch nicht hier in dieser Scheune sitzen bleiben!«
    Sie antwortete nicht.
    »Ich kann dich nicht mit zu mir nehmen. Meine Mum ist völlig fertig, ich kann ihr im Moment nicht einen wildfremden Menschen präsentieren. Das verstehst du, oder?«
    Sie lächelte ein wenig, sehr spöttisch. »Klar. Klar verstehe ich das. Du hast dich aus unserer gemeinsamen Nummer längst verabschiedet. «
    »Quatsch. Das stimmt doch gar nicht! Aber, verflucht noch mal, mein Vater liegt in einer Art Koma, und niemand weiß, wann und wie er daraus erwachen wird. Ich kann doch nicht so tun, als wäre nichts passiert!«

    Er sah sie an und hatte den Eindruck, daß sie durchaus fand, er könne das tun. Er begriff, daß sie tatsächlich die weitaus Radikalere von ihnen beiden war. Sie hatte den Bruch mit ihrer Familie, zumindest mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter, mit außerordentlicher Konsequenz vollzogen, mit einer Härte, die es ihr selbst in dieser dramatischen Situation unmöglich machte, wieder umzukehren. Für ihn selbst hatte es keine Sekunde lang außer Frage gestanden, wohin er in einem Krisenmoment gehörte.
    »Du mußt etwas essen«, sagte er, so sanft er nur konnte, »und etwas trinken. Duschen, frische Wäsche anziehen. Das alles. Was willst du denn hier in dieser Scheune auf die Dauer tun?«
    »Ich gehe nicht zurück« war alles, was sie sagte.
    »Ich kann nicht bleiben.«
    »Ich weiß.«
    Er seufzte. Er erreichte sie nicht. Sie hatte sich vollkommen in sich selbst

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