Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
zurückgezogen.
Es mußte etwa neun Uhr sein. Eine halbe Stunde konnte er sich noch nehmen, dann mußte er dringend nach Hause. Seine Schwester war ohnehin schon sauer auf ihn. Sie saß da mit Gloria, die sich ähnlich verhielt wie Ricarda, nämlich völlig teilnahmslos, und fluchte auf ihn, weil sie sicher dachte, er treibe sich irgendwo herum und drücke sich vor seinen Verpflichtungen. Er hatte Ricarda wirklich sehr gern, aber in diesem Moment wünschte er, er wäre die Verantwortung für sie los. Verdammt, dieser Tag hatte einfach nur Scheußlichkeiten mit sich gebracht.
So saß er und hielt sie im Arm, und draußen verdämmerte der Abend.
Die Nacht brach schwarz und sternenklar herein.
7
Im Lauf des folgenden Vormittages brachten zwei Polizeibeamte Evelin zum The Fox and The Lamb . Zuvor war Superintendent Norman bei Jessica gewesen und hatte sie über Phillip Bowen ausgefragt.
»Mr. Roth hat uns da gestern abend einen interessanten Hinweis gegeben«, sagte Norman. »Eigenartig, daß Sie sich während unseres Gesprächs überhaupt nicht an Mr. Bowen und seine offenbar recht heftigen Auftritte in Stanbury House erinnert haben! «
Jessica hatte in der Nacht nicht eine Minute geschlafen, und ihre Kopfschmerzen quälten sie unvermindert heftig. Statt zu frühstücken, hatte sie nur zwei Aspirin geschluckt. Ihr war übel, und sie empfand Norman an diesem Morgen als aggressiv und unangenehm insistierend.
»Leon hat sich ja auch erst nach dem Gespräch mit Ihnen erinnert«, sagte sie.
Norman nickte, aber aus irgendeinem Grund schien er dennoch nicht überzeugt, so als mache es für ihn einen Unterschied, ob Jessica nicht gleich an Phillip gedacht hatte oder Leon.
»Mr. Bowen wohnt übrigens zufällig hier im selben Hotel«, sagte er. »Ich war bereits bei ihm, da lag er jedoch noch im Bett. Er macht sich gerade fertig. Ich habe eine Reihe von Fragen an ihn.«
»Ich glaube nicht, daß er eine ergiebige Quelle für Sie sein wird«, entgegnete Jessica.
Norman sah sie interessiert an. »Nein? Wieso denken Sie das?«
»Weder hatte er etwas mit den Strukturen zu tun, die unser Zusammensein dort bestimmten und in denen Sie ja, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ein Motiv vermuten. Noch gibt es sonst irgendeinen Grund, weswegen er über auch nur einen von
uns hätte herfallen müssen, geschweige denn gleich über fünf Personen. Und auch die dritte Variante, die des geistesgestörten Killers, scheidet aus. Phillip Bowen ist nicht verrückt.«
»Wie verschieden doch Einschätzungen sein können«, sagte Norman. »Mr. Roth bezeichnete Phillip Bowen als genau das - verrückt. Besessen von der völlig absurden Idee, er sei der illegitime Sohn dieses prominenten Fernsehjournalisten Kevin McGowan. Und habe einen Erbanspruch auf Stanbury House. Er soll Mrs. Roth, aber auch andere aus dem Freundeskreis, wiederholt deswegen massiv belästigt haben. Außerdem sei er vor Ihrer aller Ankunft in das Haus eingedrungen und habe die Räumlichkeiten sehr genau inspiziert.«
» Eingedrungen ist das falsche Wort«, korrigierte Jessica. »Die Putzfrau, Mrs. Collins, war da und hat ihn eingelassen.«
»Ich vermute, damit sie das tut, hat er ihr irgendeinen gewaltigen Bären aufgebunden. Stimmt’s?«
Jessica schwieg. Norman nickte. »Ich finde, das alles klingt schon so, als sei bei Bowen zumindest eine Schraube ziemlich locker. Aber das heißt nicht, daß ich mich auf ihn als Täter bereits eingeschossen habe, so wie Mr. Roth, für den das offensichtlich außer Frage steht. Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen. «
Das Gespräch hatte in Jessicas Zimmer stattgefunden, und bevor Norman ging, war er noch einmal an der Tür stehengeblieben.
»Ich war gestern recht spät noch einmal im Krankenhaus in Leeds, bei Mrs. Burkhard. Evelin Burkhard. Es hat sich noch ein interessanter Aspekt ergeben.«
Sie sah ihn an.
»Mrs. Burkhard traf gestern mittag im Park von Stanbury House mit Mr. Bowen zusammen«, fuhr Norman fort, »offenbar schlich der wieder einmal auf dem Grundstück herum. Nach ihrer Ansicht muß das gegen zwölf Uhr mittags gewesen sein. Etwa zwanzig Minuten später ging sie ins Haus, weil ihr Mann nach ihr rief. Bowen blieb zurück. Nach den vorläufigen Erkenntnissen
unseres Gerichtsmediziners müssen die Morde irgendwann zwischen halb eins und halb drei begangen worden sein. Sollte Bowen für diese Zeit kein Alibi haben, wird es eng für ihn.« Er nickte ihr zu. »Es kann sein, daß ich nachher noch ein
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