Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
»Ein Alibi?«
»Er war den ganzen Nachmittag mit Miss Geraldine Roselaugh zusammen.«
»Ach, du lieber Himmel! Seine kleine Maus! Also, was so ein Alibi wert ist, möchte ich wissen! Die würde für ihn doch das Blaue vom Himmel herunterlügen!«
»Wir sind Polizeibeamte, Mr. Roth. Mit Unterstellungen dieser Art können wir nicht so leichtfertig umgehen wie Sie. Zunächst einmal müssen wir die Tatsache akzeptieren, daß ein erwachsener Mensch - und sie ist nicht seine Frau - behauptet, zur Tatzeit mit Phillip Bowen zusammen- und überdies viele Meilen von Stanbury House entfernt gewesen zu sein. Auf entsprechende Befragung erklärte sich Miss Roselaugh zudem bereit, dies notfalls zu beeiden.«
»Aber haben Sie denn nicht bemerkt, wie die ihn anhimmelt? Sie frißt ihm aus der Hand. Wenn der sagt, gib mir ein Alibi, dann tut sie es. Wenn er sagt, beeide das, dann schwört sie einen Meineid. Ich kenne diese Art Frau! Mr. Norman, was Miss Roselaugh auch sagt, es ist nichts wert !«
»Mr. Roth«, sagte Norman mit einiger Schärfe in der Stimme, »ich kann nicht einen Mann verhaften, gegen den ich keinerlei Beweise habe, nur weil Sie sich auf ihn als Täter fixiert haben. Damit komme ich nicht durch!«
»Er war aber im Park, kurz bevor die Verbrechen geschahen! Er war bereits einmal in unser Haus eingedrungen! Er hat uns immer wieder belästigt! Er …«
»Leon«, sagte Jessica beschwichtigend, »du zeichnest da ein falsches Bild, und das weißt du auch. Phillip Bowen ist uns vielleicht auf die Nerven gegangen, aber er hat nichts getan oder gesagt,
was auf ein derart furchtbares Verbrechen hinweisen würde.«
Leon fuhr herum, starrte sie an. »Wie kannst du eine Lanze für diesen Menschen brechen? Er hat auch deinen Mann auf dem Gewissen, vergiß das nicht!«
»Aber das wissen wir doch nicht! Mr. Norman«, sie zwang Festigkeit in ihre Stimme, weil das, was sie nun fragen wollte, so schrecklich war, daß sie Angst hatte, sie könnte dünn und unsicher klingen, »Mr. Norman, was haben Sie gegen Evelin Burkhard in der Hand?«
Norman wirkte erleichtert, zunächst aus dem schwierigen Disput mit dem zornigen Leon erlöst zu sein.
»Ich sage nicht, daß wir felsenfest überzeugt sind, in Evelin Burkhard die Täterin gefunden zu haben. Aber es gibt da ein paar Hinweise, die einen dringenden Verdacht gegen sie entstehen lassen. Erstens: Ihre Fingerabdrücke - und nur ihre - befinden sich auf der Tatwaffe. Zweitens: Ihre Kleidung wurde labortechnisch untersucht. Sie ist mit dem Blut aller Ermordeten wie auch mit dem Blut des verletzten Kindes intensiv in Berührung gekommen. Und da …«
»Aber …«, begann Jessica, doch Norman unterbrach sie mit einer Handbewegung.
»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Mrs. Burkhard hat erklärt, Mrs. Roth, ihren Mann Tim Burkhard sowie die kleine Diane Roth gefunden und auf Lebenszeichen hin untersucht zu haben. Sie erklärte, keinen Kontakt mit Mr. Wahlberg und Sophie Roth gehabt zu haben. Dennoch befand sich auch deren Blut auf ihrer Kleidung. Und noch etwas kommt hinzu: Unsere Untersuchungsmethoden erlauben uns, auch etwas über die zeitliche Abfolge zu sagen, in der das Blut auf Mrs. Burkhards Kleidung gekommen ist. Das war einwandfrei zuallererst das von ihrem Mann. Danach erst das von Mrs. Roth. Evelin Burkhard hat dies jedoch genau andersherum beschrieben.«
Leons sensibles, erschöpftes Gesicht drückte ein geradezu verletzendes
Ausmaß an Verachtung für den Polizisten aus. »Wie können Sie eine derart traumatisierte Frau wie Evelin in vollem Umfang verantwortlich machen für das, was sie in der ersten Vernehmung unmittelbar nach Geschehen einer solch schrecklichen Tat von sich gibt? Sie hat selbst zugegeben, einen Filmriß gehabt zu haben, sich an einen bestimmten Zeitraum des vergangenen Tages überhaupt nicht mehr zu erinnern. Wie soll sie noch wissen, in welcher Reihenfolge sie über einen Toten nach dem anderen stolperte? Und vielleicht weiß sie gar nicht mehr, daß sie zwischendurch im Park umherirrte, schockiert und verzweifelt, und dabei auf Alexanders Leiche stieß. Bei ihrer Rückkehr ins Haus traf sie auf meine halbtote Tochter Sophie, hat aber auch daran jetzt keine Erinnerung. Würden Sie das nicht auch für möglich halten?«
Norman wollte etwas erwidern, aber Jessica schaltete sich rasch ein.
»Superintendent Norman, ich habe ja Evelin oben in dem kleinen Bad im Dachgeschoß gefunden. Sie war wirklich in einem schlimmen Zustand. Absolut nicht ansprechbar.
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