Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
das beim zweiten Hinsehen jedoch einen extremen Zwang zur Anpassung verriet und jegliche Verirrung hin zur Individualität mit Argwohn beäugte.

    Wann mußte ein Konstrukt sich selbst so intolerant überwachen? Sie beantwortete sich die Frage im gleichen Atemzug selbst: wenn es brüchig war. Instabil. Vielleicht nicht einmal echt.
    Sie starrte in den Fernseher, ohne etwas von dem zu sehen, was dort lief. Sie wußte genau, wer ihr weiterhelfen konnte, wer der einzige Mensch war, den sie fragen konnte. Der einzige Mensch, der so lange Teil des Systems gewesen war, daß er die Antworten kannte.
    Die Sache war nur die, daß sie so verdammt wenig Lust hatte, Kontakt zu der Ex-Frau ihres Mannes aufzunehmen.
    2
    Es regnete in London, ein warmer, aber sehr kräftiger Mairegen, und Phillip, der seine Wohnung am Morgen ohne Mantel und Schirm verlassen hatte, war im Nu durchweicht und ohnehin schlechter Laune. Genaugenommen besaß er überhaupt keinen Regenschirm, hätte auch gar keinen besitzen wollen, weil er Schirme spießig fand, aber ein Mantel wäre wirklich nicht schlecht gewesen. Seiner war so alt und abgetragen, daß er sich im Grunde nicht mehr darin blicken lassen konnte. Schon gar nicht, wenn er, so wie heute, einen Anwalt im feinen Londoner Bezirk Westminster aufsuchen mußte. Als er in dem holzgetäfelten Vorraum gewartet und die - zweifellos echten - Ölschinken an den Wänden bewundert hatte, war er froh gewesen, wenigstens eine Krawatte umgebunden zu haben.
    Den Anwalt hatte ihm ein guter Bekannter vermittelt, aber das änderte nichts daran, daß er eine Gebühr würde bezahlen müssen, und die würde sicher ein empfindliches Loch in seine Kasse reißen. Er jobbte zur Zeit gelegentlich als Synchronsprecher bei der BBC, aber die Aufträge plätscherten nur schleppend und in weiten Abständen herein. Er schaffte es gerade so, die Miete für
das schäbige Loch in Stepney aufzubringen und gelegentlich in ein Pub zu gehen. Die täglichen Nahrungsmittel wurden hauptsächlich von Geraldine bezahlt, und auch dieser Umstand kotzte ihn nur noch an.
    Zu allem Überfluß hatte der Anwalt ihm kaum Mut oder Hoffnung gemacht. Er hatte sich seine Geschichte mit skeptischer Miene angehört und dann gemeint, die Argumente, auf die sich ein Antrag auf Exhumierung des verstorbenen Kevin McGowan gründen könnten, seien äußerst dünn.
    »Um ganz ehrlich zu sein, Mr. Bowen, ich sehe da kaum eine Chance. Wir haben einzig und allein die Aussage Ihrer Mutter, und die lebt nicht mehr. Sie war zudem zu der Zeit, als sie Ihnen von jener … hm, Affäre erzählte, bereits im Endstadium ihrer Krebserkrankung angelangt und stand unter starken Medikamenten. Was ihre Behauptungen nicht unbedingt … glaubwürdiger macht!«
    In Phillip war die ihm längst vertraute Wut aufgestiegen. Immer wieder begegnete er diesem Vorbehalt: seine kranke Mutter, vom Krebs gepeinigt und vom Morphium verwirrt, die plötzlich anfing, wilde Phantasien über verflossene Liebhaber aufzutischen. Manchmal schämte er sich richtig, daß er sie, die sich nicht mehr wehren konnte, diesen Unterstellungen ausgesetzt hatte.
    Der Anwalt hatte wohl in seinem Gesicht gelesen, was in ihm vorging, denn er beeilte sich hinzuzufügen: »Ich sage nicht, daß ich das so sehe. Aber Sie wollen meinen Rat und eine realistische Einschätzung der Lage, und da nützt es Ihnen nichts, wenn ich die Dinge beschönige.«
    Anschließend hatte Phillip von dem Verbrechen berichtet, das in Stanbury House geschehen war, und davon, daß man auch ihn stundenlang verhört hatte. Die Yorkshire-Morde waren natürlich noch immer ein Thema in den englischen Zeitungen, wenn auch mittlerweile nicht mehr auf den Titelseiten, und auch der Anwalt wußte davon, hatte jedoch zunächst nicht die Verbindung zu seinem Mandanten hergestellt. Nun begriff er.

    »Mein Gott«, sagte er, »natürlich! Kevin McGowan! Um sein Landhaus ging es ja in den Berichten! Hören Sie«, er hatte sich nach vorn gebeugt und Phillip eindringlich angesehen, »an Ihrer Stelle würde ich die ganze Angelegenheit für längere Zeit ruhen lassen. Sie standen immerhin, wenn auch nur kurz, unter Tatverdacht. Und wenn sich der Verdacht gegen diese Deutsche, die man vorläufig festgenommen hat, nicht erhärtet, sind Sie ganz schnell wieder in der ersten Reihe derer, die man sich genauer anschaut. Mit Ihrem bisherigen Verhalten haben Sie genug Angriffspunkte gegen sich selbst geschaffen. Fügen Sie keine weiteren hinzu!«
    »Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher