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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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das Leben
vielleicht nur aushalten, wenn sie sich mit dieser Wahrheit nicht abfinden.«
    »Ich bekomme ein Kind, Leon. Dieses Kind darf nicht mit einer Mutter aufwachsen, die sich selbst als vom Bösen gezeichnet empfindet. Die sich für gebrandmarkt hält. Ich muß diesem Kind so viel Unbefangenheit und Normalität geben, wie ich nur kann. Alles andere wäre unverzeihlich.«
    »Wenn Sophie überlebt hätte«, sagte Leon, »würde ich vielleicht auch denken wie du. Aber so …«
    »Du darfst auch dich selbst nicht aufgeben.«
    Er lachte ein wenig, trank den letzten Schluck Whisky, stand auf und ging ins Wohnzimmer. Diesmal brachte er gleich die ganze Flasche mit heraus. Jessica sah es voller Unbehagen. »Komm, ich taue für jeden von uns eine Pizza auf. Du brauchst eine Unterlage.«
    Er drückte seine Hand auf ihre Schulter und hinderte sie so am Aufstehen. »Ich würde keinen Bissen herunterkriegen.« Er setzte sich neben sie auf die Stufe. »Wie war es denn nun eigentlich beim alten Will?« fragte er.
    Der alte Will war nicht gerade ein neutrales Thema, aber Jessica war froh, daß sich Leon wenigstens vorläufig von seinen Gedanken über das Virus des Bösen verabschiedet hatte.
    Sie überlegte. Sie hatte ihre Gedanken, den Nachmittag betreffend, selbst noch nicht richtig geordnet.
    »Am Anfang wäre ich am liebsten wieder weggelaufen«, sagte sie. »Dieser Mann ist von einer Eiseskälte, wie ich sie noch nie erlebt habe. Aber jetzt im nachhinein bin ich froh, daß ich da war. Manches in Alexanders Verhalten, das mir fremd erschien, unverständlich, ist mir jetzt klarer geworden. Offenbar hat ihn sein Vater von Anfang an nur eingeschüchtert und erniedrigt, und als er schließlich ein verängstigtes, unterwürfiges Kind aus ihm gemacht hatte, hat er ihn genau dafür gehaßt. Ich könnte weinen, wenn ich an Alexanders Kindheit und Jugend denke, Leon. Ich begreife jetzt, warum er so traurige Augen hatte und
warum er mir häufig als ein Mensch erschien, der …«, sie zögerte. Sie mochte nichts über ihn sagen, was an seiner Ehre gerührt hätte. »Ein Mensch, der sich nicht so recht durchsetzen konnte gegenüber anderen«, sagte sie schließlich dennoch. »Es ging ihm immer mehr darum, von seiner Umgebung gemocht und anerkannt zu werden, als darum, die Dinge zu erreichen, die er erreichen wollte. Ein Mensch, der solche Angst hat, sich unbeliebt zu machen, zieht in Auseinandersetzungen entweder den kürzeren, oder er geht dem Problem schon im Vorfeld aus dem Weg. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, daß er …«
    »Ja?« Leon blickte auf. »Welches Gefühl hattest du?«
    »Das Gefühl, daß er überhaupt nicht wußte, was er wollte. Daß er Angst hatte, seine eigenen Bedürfnisse oder Vorstellungen überhaupt zu entdecken. Weil es ihn in Konflikte mit anderen hätte bringen können. Bevor er in diese eigenen Tiefen hätte stoßen können, blockte er ab. Und beschäftigte sich lieber damit, seine Umwelt scharf zu beobachten und sich nahtlos in die Vorstellungen anderer einzufügen.« Sie strich sich über die nassen Haare. »Wie schrecklich, so über ihn zu reden, nicht?«
    »Ich habe nicht den Eindruck, daß du schlecht über ihn redest, wenn du das meinst. Du versuchst, die Zusammenhänge zu begreifen. Das ist doch positiv.«
    Sie sah ihn nicht an. Rupfte nur ein paar Grashalme aus und verknotete sie - wie Phillip. Zum erstenmal seit einigen Wochen kam er ihr wieder in den Sinn. Ob er wohl immer noch Tag und Nacht seine Kreise um Stanbury House zog und an kaum etwas anderes dachte?
    »Will hat noch etwas gesagt. Er meinte, Alexander habe Elena geradezu abgöttisch geliebt. Und er habe auch nach der Trennung nie damit aufgehört. Mich habe er … nur geheiratet, weil er einen Halt gebraucht habe.«
    Leon schüttelte den Kopf. »Woher will er das denn wissen? Er hatte doch seit Jahren überhaupt keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Ich denke, er wollte dir einfach weh tun, Jessica. Er
ist so ein Typ. Es bereitet ihm Genuß, anderen Schmerzen zuzufügen. «
    Sie hätte seinen Worten gern geglaubt, doch stand ihr eigenes, innerstes Gefühl dagegen. Sie wußte, daß Will nicht nur ein paar Gehässigkeiten hatte ausschütten wollen. Der alte Mann mochte bösartig sein, aber er war nicht dumm. Ganz sicher hatte er für mancherlei Gegebenheiten einen durchaus klaren Blick.
    Und dann fiel ihr plötzlich etwas ein. »Ich erinnere mich an noch etwas, das Will sagte: Er sprach von euch als von vier Freunden. Nicht bloß drei.

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