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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht mit mir verbinden darf. »Ich will nicht ausgefragt werden«, sage ich. Viele haben sich ohnehin nicht gemeldet. Eine richtige Freundin habe ich gar nicht, und ich gehöre auch nicht zu einer der Cliquen in der Klasse. Vom Basketball-Verein haben einige angerufen, aber ich weiß, daß mich da keiner richtig mag. Ich bin nur ziemlich gut, und deshalb sind sie nervös, daß ich nicht mehr wiederkomme. Und natürlich hat die Klassensprecherin mit Mama geredet. Das gehört zu ihren Aufgaben, und schließlich will sie im nächsten Schuljahr wiedergewählt werden. Wenn sie wüßte, wie sinnlos es ist, sich deswegen um mich zu kümmern! Meine Stimme wird sie garantiert nicht kriegen.
    Weil ich nicht mehr dasein werde.
    Mama kommt jetzt übrigens immer zum Mittagessen heim. Früher hat sie in der Kantine in der Firma gegessen. Ich habe mir ein Brot gemacht, und abends hat Mama dann für uns gekocht. Jetzt macht sie sich solche Sorgen um mich, daß sie mittags einfach vorbeischauen muß. Irgendwie tut sie mir leid, weil sie sich so abhetzt. Sie kommt angerast, schmeißt irgend etwas aus der Tiefkühltruhe in die Mikrowelle, deckt hektisch den Tisch,
schlingt das Essen hinunter und saust wieder los. Was das bringen soll, möchte ich wirklich mal wissen! Ich warte nur darauf, daß sie sagt, ich könnte mal was einkaufen und kochen und den Tisch decken, jetzt, wo ich ja nicht mehr im Bett liege. Ich merke ihr ganz genau an, daß ihr dieser Gedanke im Kopf herumspukt und daß sie hin und her überlegt, was meiner Psyche besser tut: wenn sie nichts sagt, keinen Druck auf mich ausübt und mich »selbst den Weg zurück finden läßt« (so hat sie es gestern einer Freundin gegenüber am Telefon ausgedrückt, als sie nicht wußte, daß ich zuhörte), oder ob sie so tun soll, als sei alles wie früher, und es sei selbstverständlich, daß ich mich in irgendeiner Weise nützlich mache. Aber dann müßte sie auch dafür sorgen, daß ich wieder in die Schule gehe, und ich glaube, sie ist völlig ratlos, wie sie das anstellen soll.
    Heute dachte ich: Ich koche jetzt etwas für uns beide, aber ich schaffte es nicht, weil es sich so anfühlte, als würde ich damit ein Spiel unterbrechen, das ich angefangen habe und das mich zu sehr reizt, als daß ich damit aufhören könnte. Es ist das Spiel: Mama beobachten, wie sie hofft, daß sich etwas ändert. Sie hat so einen bestimmten Gesichtsausdruck, wenn sie mittags angehechtet kommt, und ich bin total geil darauf, den zu sehen. Ihre Augen sind groß und ein bißchen ängstlich und gleichzeitig erwartungsvoll, aber die Angst ist etwas größer als die Erwartung. Sie hat ein ganz schönes Tempo drauf, wenn sie mit dem Auto in unsere Straße einbiegt, so richtig mit quietschenden Reifen. Dann höre ich die Wagentür zuknallen, und dann klappern ihre Absätze rasant über den Gartenweg. Sie ist so hektisch beim Aufschließen der Haustür, daß sie zwei-, dreimal das Schlüsselloch verfehlt. Sie wirft ihre Jacke auf den Stuhl in der Diele und läßt die Handtasche fallen. Sie hat Streß pur, weil ihre Mittagspause so kurz ist und sie keine Sekunde verschenken darf. Aber dann wird sie plötzlich ganz langsam. Wenn sie sich um die Ecke in die Küche schiebt. Dann hat sie diesen Ausdruck von Hoffnung. Von wahnsinniger, ängstlicher Hoffnung. Daß es nach Essen riecht.
Daß ich den Tisch vor der Eckbank gedeckt habe. Daß ich mit ein paar Schüsseln und Tellern klappere und fröhlich sage: »Hallo, Mama! Schön, daß du da bist! Setz dich, wir essen gleich!« Sie hätte dann das Gefühl, daß ich wieder am Leben teilnehme, und das wäre ja einfach das Schönste, was ihr zur Zeit passieren könnte. Sie würde denken, daß ich sicher bald wieder zur Schule gehe und in die Basketball-Gruppe und daß alles wie früher wird.
    Aber statt dessen kauere ich auf der Eckbank, entweder noch im Schlafanzug oder in meiner Trainingshose. Ich starre sie einfach an. Auf dem Tisch türmt sich das abgegessene Frühstücksgeschirr. Es riecht nach Käse, der längst wieder in den Kühlschrank gemußt hätte, und die Butter ist ziemlich zerlaufen. Mamas Gesicht fällt in sich zusammen, aber da sie nun mal vorerst die Taktik fährt, mir keine Vorwürfe zu machen, versucht sie gleich darauf ein Lächeln. Es wirkt ganz schön angestrengt, und jedesmal genieße ich es zu sehen, wie sie sich zusammenreißen muß. Ich schaue ihr gern zu, wie sie in der Küche herumhastet, jetzt wieder in dem Tempo, in dem ich sie schon

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