Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
nach der gleichgültigen Art, mit der er sie liebte. Er war nicht rücksichtslos, aber er ging auch nicht auf ihre Bedürfnisse ein. Er war im Liebesakt so weit von ihr entfernt wie in jeder anderen Minute des Alltags, und manchmal, in den kurzen Phasen, in denen sie sich dies eingestand, fragte sie sich verzweifelt, wie sie sich so sehr nach etwas sehnen konnte, das nicht schön, nicht beglückend, nicht einmal aufregend war, sondern ihr im Grunde nur das Gefühl gab, benutzt zu werden.
Ich will das nicht, ich will das nicht, ich will das nicht!
Er kehrte zu ihrem Tisch zurück, in der einen Hand ein Glas Bier, in der anderen einen Teller mit einem Currygericht, soweit Geraldine das erkennen konnte.
»Ich habe dir eine Gabel mitgebracht«, sagte er, »falls du doch ein wenig mitessen möchtest.«
Für seine Verhältnisse war dies so fürsorglich, daß Geraldine sogleich mißtrauisch wurde. Vermutlich würde er ihr gleich etwas Unangenehmes mitteilen.
»Was ist?« fragte sie, ohne die mitgebrachte Gabel anzurühren.
Phillip seufzte, begann dessenungeachtet jedoch mit gutem Appetit zu essen. »Ich kann dich nicht auf dieser Wanderung heute begleiten«, erklärte er. »Ich möchte Patricia Roth aufsuchen. «
»Das wolltest du doch morgen früh tun!«
»Ich habe es mir anders überlegt. Ich bin zu unruhig, um zu warten. Außerdem drängt die Zeit. Wenn Patricia Roth, wie ich vermute, nicht mit sich reden läßt, muß ich umfassende Schritte einleiten. Ich will die Zeit nicht verschwenden.«
Sie war empfindlich geworden in den letzten Jahren, und bei seinen Worten merkte sie, wie es schon wieder eng wurde in ihrem Hals. »Verschwenden«, wiederholte sie, »es ist für dich verschwendete Zeit , wenn du mit mir eine Wanderung machst?«
Er wollte ihr eine Gabel voll Curryreis in den Mund schieben, aber sie wehrte ab. »Nein. Ich habe keinen Hunger. Wirklich nicht.«
»Ich bin wegen dieser Angelegenheit hierhergekommen«, sagte er. »In gewisser Weise ist alles verschwendete Zeit, was nichts mit meinem Vorhaben zu tun hat. Das hängt nicht mit dir zusammen.«
»Du hattest es mir versprochen.«
»Du hast gebettelt und gedrängt, und irgendwann habe ich ja gesagt, damit du Ruhe gibst. Aber ich möchte nicht. Du kannst doch auch einmal alleine wandern.«
Die Tränen saßen ihr als dicker Kloß in der Kehle. Sie hoffte, daß es ihr gelingen würde, nicht zu weinen. »Ich bin wegen dir hier! Nicht um alleine zu wandern!«
»Ich habe dich aber nicht gebeten, mitzukommen. O Gott«, er schob seinen noch halb vollen Teller zurück, ärgerlich, weil sie ihn um den Genuß des Essens gebracht hatte, »jetzt fang bloß nicht an zu heulen! Ich habe dir genau erklärt, weshalb ich nach Yorkshire fahre, und ich habe nie verlangt, daß du mich begleitest. Du wolltest unbedingt mit. Du kannst jetzt nicht verlangen, daß ich meine Tagesabläufe nach dir richte.«
»Aber ich dachte …«
Er kramte eine ziemlich zerknickte Zigarette aus seiner Hosentasche. »Ja? Was dachtest du?«
Was hatte sie eigentlich gedacht? Hatte sie ernsthaft geglaubt, sie würden so etwas wie Gemeinsamkeit hier erleben? Wanderungen, Spaziergänge, lange Abende in gemütlichen Pubs mit knisternden Kaminfeuern und Ausflugsfahrten durch das Land mit Picknicks am Rande plätschernder Bäche? Liebe im weichen Gras? Schafherden und blauer Himmel, kleine Wolken und der Geruch der Sonne auf regennassen Wiesen? Einfach ein englischer Frühling, angefüllt mit Gefühlen und Zärtlichkeit? Die Einfachheit des Landlebens … Ja, wenn sie ehrlich war, so hatte sie das wirklich gehofft: daß er hier ein anderer wäre, weit weg von
London, weit weg von der Unruhe der Großstadt, von den Autos und Bussen und drängelnden Menschen, dem Benzingestank und dem Lärm. Weg von seiner schrecklichen, billigen Mansarde und den verräucherten Kneipen, in denen er halbe Nächte zu verbringen pflegte.
In irgendeinem naiven Winkel ihres Gehirns hatte sie sich wohl eine Art heilende Wirkung der Natur versprochen. In Yorkshire würde Phillip die wahren Werte des Lebens erkennen, er würde begreifen, daß ihm das Dasein, wie er es führte, auf die Dauer kein Glück bringen konnte. Aber natürlich war alles wie immer, und die Kulisse der Hochmoore und der Einsamkeit änderte nicht das geringste. Phillip war Phillip, und Geraldine war Geraldine. Und alles lief zwischen ihnen genauso ab wie stets.
Sie erhob sich, weil sie plötzlich Angst hatte, doch noch zu weinen. »Du erlaubst
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