Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Becher aus dem Schrank, schenkte sich Kaffee ein, setzte sich zu ihr an den Tisch. Wie seine Tochter auch, verzichtete er auf Milch und Zucker. Eigentlich fand er, daß sie mit ihren fünfzehn Jahren zu jung war, den Tag mit schwarzem Kaffee zu beginnen. Noch bis zur Trennung vor nunmehr etwas über zwei Jahren hatte er ihr morgens
Kakao gekocht. Dann war sie mit Elena fortgegangen, und irgendwann im letzten Jahr hatte sie ihn während einer ihrer Wochenendbesuche mit dem Wunsch überrascht, sie wolle Kaffee zum Frühstück.
»Das halte ich nicht für gut«, hatte er erwidert, aber sie hatte ihm erklärt, daß sie ihn bei ihrer Mutter jetzt auch bekäme und daß es daher sinnlos sei, wenn er ein Verbot ausspreche. Also hatte er sich gefügt - vielleicht hatte er sich in zu vieles gefügt, was Ricarda anging -, und inzwischen trank sie auch in den Ferien in Stanbury Kaffee wie die Erwachsenen. Was Patricia natürlich nicht müde wurde zu rügen.
»Du bist auch ziemlich früh auf den Beinen«, sagte er nun, und als sie nicht darauf antwortete, fügte er hinzu: »Vor allem, wenn man bedenkt, daß es neuerdings abends immer recht spät wird bei dir.«
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Gesicht war vollkommen verschlossen.
»Ich hatte dich gebeten, gestern zum Mittagessen dazusein. Du hast dich nicht danach gerichtet und hast nicht einmal irgend etwas dazu gesagt. Gibt es dafür einen Grund?«
Sie antwortete immer noch nicht, nahm statt dessen einen tiefen Schluck aus ihrer Tasse. Alexander fragte sich verzweifelt, woher diese Blockade kam. So war sie noch nie gewesen.
Er nahm einen neuen Anlauf. »Niemand will dich in deiner Freiheit einschränken, Ricarda. Ich nicht und übrigens schon gar nicht Jessica. Du hast eine große Fürsprecherin in ihr, das solltest du bei dieser Gelegenheit ruhig wissen. Sie setzt sich sehr dafür ein, daß du hier ohne allzuviel Zwang und Kontrolle leben sollst.«
Wiederum zuckte Ricarda die Schultern. Alexander konnte keine Regung in ihrem Gesicht entdecken.
»Wo warst du gestern?« fragte er und versuchte, so viel Autorität wie möglich in seine Stimme zu legen. »Und vorgestern abend? Ich möchte es wissen.«
Sie sah ihn an. »Das ist meine Sache.«
»Nein, das ist es nicht. Du bist noch nicht volljährig, und bis dahin gehen deine Belange auch mich etwas an. Also bitte - wo warst du?«
Sie wandte ihr Gesicht ab, preßte die Lippen aufeinander. Er mußte plötzlich daran denken, wie sie sich als kleines Kind in seine Arme gekuschelt hatte, wenn er ihr Geschichten vorlas, und mit welchem Jubel sie auf ihn zugesprungen war, wenn er abends nach Hause kam. Schwer vorstellbar, daß die Person, die vor ihm saß, dasselbe kleine Mädchen war.
»Ich habe deinen Wunschzettel gelesen«, sagte er. »Du schreibst, daß du dir eine Reise mit mir nach Kanada wünschst. Ich finde das erstaunlich. Denn offenbar hast du nicht das geringste Vertrauen zu mir, und du hast auch überhaupt keine Lust, mir irgend etwas von dir mitzuteilen. Wie sollten wir es dann ein paar Wochen lang miteinander in der kanadischen Wildnis aushalten? «
Endlich kam Leben in sie. »Wieso fragst du mich das?« erwiderte sie heftig. »Du wirst sowieso nie mit mir fahren! Das weiß ich doch ganz genau!«
»Und woher meinst du das genau zu wissen?«
»Wegen ihr !«
» Sie hat einen Namen.«
»Wegen J. Seit sie da ist, bin ich doch gestorben für dich!«
»Das ist doch Unsinn.« Ein leiser Schmerz kroch seinen Nacken hinauf. Er hatte selten Kopfweh, aber in diesem Moment konnte er spüren, daß es ihn packen würde. »Ich liebe Jessica. Sie ist meine Frau. Aber das ändert doch nichts ...«
Aus ihren dunklen Augen schossen Blitze. »Du liebst sie nicht ! Du liebst sie absolut nicht! Du redest dir das nur ein, weil du es sonst gar nicht aushalten könntest mit ihr! Du liebst Mami. Du wirst sie immer lieben. Aber die alle hier«, sie machte eine weit ausholende Handbewegung, die das ganze Stanbury House umschreiben sollte und um ein Haar beide Kaffeebecher vom Tisch
gefegt hätte, »haben sie vertrieben! Diese ganze Bande hat sie nicht mehr aushalten können. Und du hast sie gehen lassen! Wie konntest du das nur tun?«
»Ricarda!« Er wollte beschwichtigend seine Hand auf ihre legen, doch sie zog sie zurück und sprang auf. Sie sah ihrer Mutter in diesem Moment sehr ähnlich. Sehr südländisch, sehr wild.
»Ich hasse deine Freunde!« rief sie. »Ich hasse sie so sehr, wie Mami sie gehaßt hat! Ich wünschte, jeder
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