Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
einmal. Er war schlank und gut aussehend, das wußte er, und daher nahm er die Bemerkung seiner Frau nicht ernst. Patricia nörgelte gern an anderen Menschen herum. Er hatte es sich angewöhnt, gar nicht mehr hinzuhören.
Sie setzte sich auf das Bett, um ihre Joggingschuhe zuzubinden.
»Nach dem Frühstück gehe ich mit Diane und Sophie zum Reiten«, verkündete sie.
Er setzte sich im Bett auf. »Du wirkst ja schon wieder recht gelassen. Gestern abend konntest du über nichts anderes reden als über diesen Phillip Bowen und seinen unglaublichen Auftritt, und heute früh hast du ihn überhaupt noch nicht erwähnt.«
»Ich werde ihn auch nicht mehr erwähnen. Ich habe nachgedacht heute nacht. Der Mann ist ein Spinner, und wenn er noch einmal seinen Fuß hier auf mein Grundstück setzt, werde ich die Polizei rufen. Ich werde es ablehnen, mit ihm zu sprechen. Dann wird sich die Angelegenheit schon totlaufen.« Sie hatte ihre Schuhe fertig zugebunden, stand auf und wippte in den Kniekehlen.
»Hoffentlich unterschätzt du ihn nicht«, meinte Leon, »der Typ wirkte nicht so, als würde er schnell aufgeben. Ganz leicht läßt der sich bestimmt nicht abwimmeln.«
»Wir werden ihm untersagen, den Boden von Stanbury House zu betreten. Und wenn er sich einem von uns sonst irgendwo nähert, im Dorf beim Einkaufen oder beim Reiten ... nun«, sie sah
ihn fast entrüstet an, so als könne sie kaum glauben, daß er überhaupt ein Problem sah, »du bist doch Anwalt, Leon! Du weißt doch, was man in solchen Fällen tut! Er kriegt eine einstweilige Verfügung, und damit sind wir ihn los!«
Leon nickte, langsam und nachdenklich. »Ich kenne mich im englischen Recht nicht aus. Ich weiß nicht, wie schwierig es hier ist, eine Exhumierung durchzusetzen.«
»Also - das ist bestimmt sehr schwierig! Da könnte doch jeder kommen und irgend jemanden ausbuddeln lassen, nur weil er meint, er sei dessen Sohn! Ich bitte dich! Ich habe ja wohl auch noch mitzureden bei der Frage, ob man meinen Großvater aus seinem Grab holen kann oder nicht!«
»Wenn er vor Gericht erfolgreich ist, kannst du nichts machen. «
»Ach was!« Sie begann ihre Muskeln zu wärmen, indem sie sich vorbeugte und abwechselnd mit der linken Hand den rechten Fuß und mit der rechten Hand den linken Fuß berührte. »Der Mann ist ein Hochstapler, und das wird auch jedes Gericht sofort erkennen!«
»Hast du dir schon mal überlegt«, fragte Leon, »daß seine Geschichte stimmen könnte?«
Patricia hörte auf mit ihrer Übung und starrte ihren Mann an. »Spinnst du? Das glaubst du doch nicht im Ernst!«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich es glaube. Ich habe nur angeregt zu überlegen, daß es stimmen könnte.«
»Ich gehe jetzt zum Joggen«, sagte Patricia und näherte sich der Zimmertür. »Du brauchst, glaube ich, erst mal einen Kaffee, damit du aufhörst, finstere Geschichten zu entwerfen. Kommst du zum Frühstück nachher?«
»Ja. Hör mal, Patricia ...« Ihm lag noch etwas auf dem Herzen, schon lange, aber er wußte nicht, wie er anfangen sollte. »Wegen der Reitstunden …«
»Ja?« Sie stand an der Tür, Hand auf der Klinke, federte in den Kniekehlen auf und ab. »Was denn?«
Sein Mut verließ ihn schon wieder. »Nichts. Schon gut.« Irgendwie hoffte er, sie werde noch einmal nachhaken, aber sie tat es nicht.
Er ließ sich in sein Kissen zurücksinken.
Später. Später würde er mit ihr reden. Es wurde Zeit.
10
»Meine Mutter«, sagte Phillip Bowen, »hat bis zu ihrem Tod unsagbar unter dem Makel gelitten, ein uneheliches Kind zu haben. Ich glaube, es waren nicht moralische Gründe, die eine Rolle spielten, sondern es war das Gefühl, daß sie einem Mann so wenig wert gewesen war, daß er um keinen Preis eine Familie mit ihr hatte gründen wollen. Das hat sie tief in ihrem Stolz verletzt.«
Er und Jessica saßen im Gras auf demselben kleinen Hügel, an dessen Fuß sie sich zwei Tage zuvor getroffen hatten. Barney, der wie ein Verrückter durch die Wiese getobt war, hatte sich zwei Schritte von ihnen entfernt plötzlich fallen lassen und war eingeschlafen. Nur sein linkes Ohr zuckte hin und wieder, und sein Bauch hob und senkte sich in gleichmäßigen Atemzügen.
Jessica hatte sich von ihrer Übelkeit erholt und war gleich nach dem Frühstück zu ihrer üblichen Wanderung aufgebrochen. Sie nahm denselben Weg, auf den sie zwei Tage zuvor nur versehentlich geraten war, denn das Tal, in dem sie Barney aus dem Wasser gefischt hatte, hatte ihr gut gefallen,
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