Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Tonfall wie Jessica eine Minute zuvor.
»Phillip Bowen«, antwortete Phillip.
Patricia begriff als erste, und ihre Augen weiteten sich.
»Phillip Bowen?« stieß sie hervor. »Sie sind der Mann, der ...«
»Ich wollte Sie eigentlich schon am gestrigen Nachmittag aufsuchen. Es fiel mir jedoch nicht ganz leicht, und so ... sehen wir uns erst heute. Ich mußte mir einen ziemlichen Ruck geben, denn ich vermute, was ich Ihnen zu sagen habe, wird Sie zumindest sehr ... überraschen.« Er lächelte verbindlich, aber angespannt. »Ich bin ein naher Verwandter von Ihnen, Mrs. Roth«, sagte er, »oder darf ich Sie Patricia nennen?«
Leon machte einen Schritt nach vorn. »Wie kommen Sie dazu, eine solche Behauptung aufzustellen?« fragte er, noch ehe sich Patricia von ihrer Verblüffung erholt hatte. »Ich muß Sie sehr bitten, entweder deutlicher zu werden oder auf der Stelle dieses Haus zu verlassen.«
»Sie sind der Mann, der hier spioniert hat!« ließ sich Evelin jetzt vernehmen, die blauen Augen weit aufgerissen.
»Ich werde gerne deutlicher«, sagte Phillip, ohne auf Evelins Zwischenruf einzugehen. »In kurzen Worten: Patricias Großvater ist mein Vater. Oder anders ausgedrückt: Patricias Vater und ich sind Halbbrüder. In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehe ich damit zu Patricia?«
Er sah sich um wie ein Lehrer, der seiner Klasse eine schwierige Frage gestellt hat und nun hofft, daß irgend jemand sie beantworten kann.
Jessica, die noch immer hinter ihm gestanden hatte, kam hervor und gesellte sich demonstrativ zu den anderen. »Onkel«, sagte sie, »in diesem Fall wären Sie Patricias Onkel.«
»Das ist ja der größte Blödsinn, den ich je gehört habe!« rief Patricia. Ihre Stimme war schrill geworden. Der Sekt in ihrem Glas schwappte gefährlich.
»Onkel Phillip«, sagte Phillip. Er grinste. »Klingt nicht gerade attraktiv, aber da kann man wohl nichts ändern. Ich bin Ihr Onkel, Mrs. Roth. Dank der Umtriebigkeit Ihres Großvaters haben Sie einen Onkel, der nur etwa zehn Jahre älter ist als Sie!«
Leon und Patricia begannen gleichzeitig zu reden, doch Tim, der bislang nichts gesagt hatte, brachte sie mit einer Handbewegung
zum Schweigen. »Sie werden verstehen, Mr. Bowen«, sagte er höflich, »daß uns dies als eine sehr kühne Behauptung vorkommen muß. Im Grunde genommen könnte jeder wildfremde Mensch hier auftauchen und uns das gleiche erzählen. Haben Sie denn irgendwelche Beweise, die Ihre Theorie untermauern?«
Phillip schüttelte den Kopf. »Da ich ein illegitimer Sohn des alten Kevin McGowan bin und da meine Mutter in ihrer Verletztheit immer darauf verzichtet hatte, daß McGowan seine Vaterschaft anerkennt, gibt es weder Urkunden noch sonst etwas, womit ich meine Herkunft belegen könnte.«
»Also, dann ist es ja wohl eine unglaubliche Unverschämtheit ...«, schnaubte Patricia, aber Tim bedeutete ihr erneut, still zu sein. »Laß ihn doch ausreden, Patricia.«
Leon sprang seiner Frau zur Seite. »Ich finde, es ist eine Zumutung, daß wir uns diese haltlosen Geschichten anhören müssen! Ich denke, daß Mr. Bowen jetzt gehen sollte.«
Phillip ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nur Jessica, die ihn sehr genau beobachtete, sah, daß er seine linke Hand so fest zur Faust ballte, daß die Knöchel weiß hervortraten. Überdies war ein ganz leises Zucken im Unterlid seines linken Auges.
»Ich kann Ihnen sehr viel über Kevin McGowan erzählen«, sagte er, »eine Menge Einzelheiten, bei denen Sie würden einräumen müssen, daß ein Wildfremder sie nicht wissen kann. Wenn Sie aber dennoch beschließen, mir keinen Glauben zu schenken ...« Er machte eine Pause.
»Ich bin nicht bereit, mir das noch länger anzuhören!« fauchte Patricia.
»Wenn Sie mir keinen Glauben schenken«, fuhr Phillip fort, und er sah nun Patricia direkt in die Augen, »dann werde ich gerichtlich eine Exhumierung Ihres Großvaters, also meines Vaters, erwirken. Über eine genetische Analyse dürften dann letzte Zweifel ausgeräumt werden können.«
Mit seinen Worten erntete er zunächst ungläubiges Schweigen. Dann lachte Patricia auf, hoch und fast kreischend. »Das ist ja
das Letzte!« rief sie. »Etwas so Unsägliches habe ich noch nie gehört! Mr. Bowen, mein Großvater ist seit zehn Jahren tot. Abgesehen davon, daß ich niemals zulassen würde, daß er in seiner letzten Ruhestätte gestört wird, möchte ich wirklich wissen, was Sie sich davon versprechen. Soviel ich weiß, ist nach so langer Zeit eine
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