Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Genanalyse nicht mehr möglich!«
»Da irren Sie sich«, sagte Phillip. »Die Wissenschaft macht ständig Fortschritte. Es gibt inzwischen eine Methode, auch über die DNA lang Verstorbener Aufschluß zu gewinnen.«
Patricias Blick war nun voller Haß. »Ich möchte Sie jetzt wirklich bitten, mein Haus zu verlassen! Niemand hier legt Wert darauf, noch länger von Ihren Spinnereien belästigt zu werden.«
»Ich kann meiner Frau da nur recht geben«, fügte Leon in kaltem Ton hinzu. »Gehen Sie jetzt bitte, Mr. Bowen.«
»Was mich nur interessiert«, sagte Tim und kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen, was ihn, wie Jessica fand, außerordentlich heimtückisch aussehen ließ, »ist die Frage, weshalb Sie einen solchen Aufwand betreiben wollen, Ihre Verwandtschaft mit Patricia Roth zu beweisen. Sind Familiengefühle in Ihnen erwacht, oder hat das einen anderen Grund?«
»Kommt Ihnen da eine Idee?« fragte Phillip.
Tim nickte. »O doch. Ich habe durchaus einen Verdacht.«
Phillip nickte. »Wahrscheinlich liegen Sie richtig« Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, über den Kamin, die holzgetäfelten Wände, die hohe Decke. Dann schaute er wieder zu Patricia.
»Das Haus«, sagte er, »das Anwesen. Stanbury. Sie haben es von Ihrem Großvater geerbt. Wenn aber Ihr Großvater einen zweiten Sohn hat, nämlich mich ...« Er schwieg einen kurzen Moment.
»Ich möchte, daß Sie teilen, Mrs. Roth«, sagte er dann. »Ich erhebe Anspruch auf die Hälfte von Stanbury House.«
9
Er ging die Treppe hinunter und fühlte sich müde. Mehr noch: tief erschöpft und deprimiert. Er hatte kaum geschlafen in der Nacht, hatte bis halb sieben Uhr nur deshalb im Bett ausgeharrt, um Jessica nicht zu stören. Dann jedoch war sie aufgewacht, hatte sofort über heftige Übelkeit geklagt und war im Bad verschwunden; als sie wieder erschien, sah sie totenblaß aus, und ihr Gesicht war von einem Film aus kaltem Schweiß bedeckt.
»Ich lege mich noch mal hin«, hatte sie leise gemurmelt und war tief unter die Decke gekrochen.
Er duschte, zog sich an und ging nun leise nach unten. Das ganze Haus schien noch zu schlafen. Er war froh, daß ihm dies Gelegenheit gab, noch ein wenig allein zu sein.
Es gab manches zu überlegen.
Am Vorabend war Ricarda, die seit den frühen Mittagsstunden verschwunden gewesen war, gegen elf Uhr wieder aufgetaucht. Alle hatten noch im Wohnzimmer gesessen und über Phillip Bowen gesprochen, jenen ungebetenen Gast, der so plötzlich vor ihnen gestanden und seine Forderung vorgebracht hatte - verbunden mit der unglaublichen Behauptung, illegitimer Sohn von Patricias Großvater zu sein. Patricia hatte sich entsetzlich aufgeregt und ziemlich viel getrunken, und zum Glück war sie diesmal so abgelenkt gewesen, daß sie, als draußen leise die Haustür ging, Schritte zum Dachboden erklangen und jeder wußte, daß dies nur Ricarda sein konnte, nicht wie sonst über Alexander herfiel und ihn mit ihren Vorstellungen von Kindererziehung bearbeitete, sondern nur kurz zerstreut nach draußen lauschte und dann zum wiederholten Mal murmelte: »Der hat sich getäuscht! Der hat sich verrechnet. Der wird an nichts herankommen, was mir gehört!«
Erst in diesem Moment hatte er wirklich realisiert, wie er ihr Hetzen und Drängen inzwischen fürchtete, wie sehr er sich in die
Enge getrieben fühlte, wieviel Druck sie auf ihn auszuüben in der Lage war. Ihm war eingefallen, was Elena oft über Patricia gesagt hatte: »Sie muß immer recht haben. Und sie kann es nicht ertragen, wenn ein Mensch einen anderen Weg geht als den, den sie ihm genannt hat. Wer nicht tut, was sie will, wird nie mit ihr auskommen können.«
Er war an dem Abend nicht mehr zu Ricarda hinaufgegangen, weil Jessica ihm geraten hatte, sie erst einmal in Ruhe zu lassen. Aber er hatte sich Gedanken über Gedanken gemacht, und das einzig Gute an der daraus erwachsenden Schlaflosigkeit war gewesen, daß er von seinem immer wiederkehrenden Alptraum verschont geblieben war.
Immerhin. Wenn man eine Situation lange genug drehte und wendete, fand man doch immer etwas Gutes daran.
Er hatte sich gefragt, ob er als Vater versagt hatte.
Sicher eine durchaus natürliche Frage, die sich ein Mann - oder eine Frau - stellen mußte, wenn eine Ehe scheiterte, aus der ein Kind hervorgegangen war. Das Kind litt, weil ein Gefüge auseinanderbrach, das bis dahin seine Welt dargestellt und auf das es sich verlassen hatte, und die Eltern litten, weil es ihnen nicht
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