Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
gelungen war, dem kleinen Menschen, den sie in die Welt gesetzt hatten, ohne ihn zu fragen, ob er das überhaupt wollte, eine glückliche, intakte und geborgene Kindheit zu bereiten. Es mochte ein sehr menschliches Versagen sein, aber es blieb ein Versagen.
    Und besonders schmerzhaft wurde dieses Gefühl dann, wenn Probleme auftraten, von denen man sich vorstellen konnte, sie seien ohne Scheidung vielleicht nicht aufgetreten.
    Ricarda lehnte Jessica aus ganzer Seele ab. Damit hatte Alexander natürlich gerechnet, aber er war überzeugt gewesen, daß sich dies rasch legen würde. Jessica war jung, spontan und natürlich, und sie war Tierärztin und übte damit den Beruf aus, von dem Ricarda schon als kleines Mädchen geträumt hatte. Er hatte sich überlegt, daß Ricarda ein paar Wochen lang bocken würde,
daß sie sich dann jedoch dem Charme und der Herzlichkeit Jessicas nicht länger würde entziehen können. Und glücklicherweise hatte schließlich Jessica nicht das geringste mit Alexanders und Elenas Trennung zu tun. Sie war in Alexanders Leben getreten, als Elena sich mit ihrer Tochter bereits eine eigene Bleibe gesucht und die Scheidung eingereicht hatte.
    Doch nun sah es so aus, als wolle Ricarda den Zustand eisiger Distanz unbedingt beibehalten. Es hatte vor der zweiten Hochzeit ihres Vaters ein paar Wochenenden gegeben, die sie mit dem frisch verliebten Paar verbracht hatte, nach der Hochzeit dann folgten die Osterferien in Stanbury, die Sommer- und die Herbstferien, Weihnachten und nun wieder Ostern. Dazwischen weitere zahlreiche Wochenenden, an denen Jessica sich jede erdenkliche Mühe gegeben hatte. Auf Alexanders Bitte hin hatte sie Ricarda sogar angeboten, ihr an ein oder zwei Nachmittagen in der Woche in der Praxis zu helfen. Alexander wußte, daß dies ein Herzenswunsch seiner Tochter war, aber natürlich hatte sie höflich und kalt abgelehnt. Und mehr als unwillige Höflichkeit hatte sie der neuen Frau ihres Vaters sowieso nie entgegengebracht.
    Und jetzt fing sie auch noch an, sich von ihm, Alexander, zu entfernen. Bislang hatte er wenigstens das Gefühl haben können, daß ihrer beider Vertrauensbeziehung erhalten geblieben war. Doch auf einmal, und ohne daß es einen Anlaß gegeben hatte - zumindest hatte er keinen Anlaß bemerkt -, war es, als sei das Band zwischen ihnen zerschnitten. Als sie ihm vor der Abreise ihren Wunschzettel für Ostern gegeben hatte, waren Ferien mit ihm allein noch ihr einziger und offenbar großer Wunsch gewesen. Dann war irgend etwas geschehen. Sie trieb sich herum, verschwand ganze Tage und Abende, sprach nicht über die Dinge, die sie tat, ignorierte seine Anordnungen und Verbote mit einer Gleichgültigkeit, als höre sie gar nicht, was er sagte. Sie war in eine eigene Welt abgeglitten.
    Er machte sich entsetzliche Sorgen.
    Er öffnete die Tür zur Küche, und da saß sie. Seine Tochter.
Auf einem der alten Hocker, beide Ellbogen auf die Tischplatte vor sich gestützt. Sie trug ihren hellgrauen Jogginganzug, und es sah nicht so aus, als habe sie bereits geduscht oder sich die Haare gekämmt. Sie war sehr blaß. Ihre Hände umschlossen einen dicken Keramikbecher. Die Küche duftete nach frischem Kaffee.
    Sie erschrak, als ihr Vater plötzlich im Raum stand, und einen Moment lang hatte es fast den Anschein, als schaue sie sich nach einem Fluchtweg um. Dann faßte sie sich und setzte die arrogante Miene auf, die ihn seit einigen Tagen zur Verzweiflung trieb.
    »Warum bist du denn schon so früh wach?« fragte sie. »Es ist gerade sieben Uhr!«
    »Ich konnte nicht schlafen.« Unschlüssig blieb er mitten im Raum stehen. Er mochte die Küche. Sie war groß und altmodisch und gemütlich, und man hatte den herrlichen Blick auf den Park. Draußen dämmerte wieder ein zauberhafter Frühlingstag heran, man konnte die ersten Sonnenstrahlen auf dem taufeuchten Gras glitzern sehen.
    Eigentlich frühstückten sie stets alle zusammen im Eßzimmer, aber Alexander erinnerte sich plötzlich, daß er in den letzten anderthalb Jahren vor der Trennung von Elena immer allein hier in der Küche gefrühstückt hatte. Er hatte damals kaum eine Nacht geschlafen, war oft schon um sechs Uhr hinuntergegangen, hatte Kaffee getrunken und gegrübelt. Komisch, er hatte daran gar nicht mehr gedacht. Erst in diesem Moment fiel es ihm wieder ein.
    Das einzige moderne Gerät in der Küche war die Kaffeemaschine. Er deutete darauf. »Kann ich mir Kaffee nehmen?«
    »Klar!« Sie nickte. Er holte sich einen

Weitere Kostenlose Bücher