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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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auch sagen, oder? Letztlich rührst du Gips an und klebst ihn an Decken und Wände. Nicht?«
    »Ich würde vor allem gern alte Häuser renovieren«, sagte Keith. Aus den Augenwinkeln gewahrte er das ängstliche, blasse Gesicht seiner Mutter. Gloria Mallory lebte in ständiger Furcht vor einem finalen Zusammenstoß zwischen ihrem Mann und
ihrem Sohn, bei dem der Sohn für immer Hof und Familie verlassen und ihr Mann einen Infarkt oder etwas ähnlich Schlimmes erleiden würde. In ihrer frühen Jugend hatte ihr eine Zigeunerin prophezeit, daß ihr späterer Ehemann viele Jahre vor ihr, dazu jäh und unerwartet, sterben werde.
    »Schöne, alte Häuser«, fuhr Keith fort, »mit alten Stuckdecken. Es würde mir Spaß machen, wenn ich …«
    Der rechte Zeigefinger seines Vaters schoß vor und bohrte sich in Keiths Wollpullover. »Siehst du, da haben wir es! Da haben wir das Wort, auf das ich gewartet habe! Spaß! Es würde dir Spaß machen . Und weil es dir Spaß machen würde, sitzt du - ein gesunder, junger Mann auf dem Höhepunkt seiner Kraft und Leistungsfähigkeit - tagaus, tagein faul in der Ecke und wartest, daß von irgendwoher die Gelegenheit herbeigeeilt kommt, diesen grandiosen Spaß ausüben zu können! Und wenn es Jahre dauert! Und wenn dein Leben vergeht darüber! Aber natürlich - wir können ja nur einen Beruf ausüben, der uns Spaß macht !«
    Das Wort Spaß betonte er auf eine affektierte, übertriebene Weise.
    Keith hätte ihm gern gesagt, er solle ihn am Arsch lecken, aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Er war ein ängstlicher, harmonieabhängiger Mensch. Und seinem Vater in Schärfe und Bissigkeit nicht gewachsen.
    »Ich habe mich mehrfach um eine Lehrstelle bemüht …«, begann er. Greg fiel ihm sofort ins Wort.
    »Aber keine bekommen! Gibt dir das nicht zu denken? Zum einen liegt es natürlich an den saumäßigen Noten, mit denen du die Schule verlassen hast, und zum anderen an dem idiotischen Beruf, den du dir in deinen Schwachkopf gesetzt hast. Stukkateur! Scheint nicht sonderlich gefragt zu sein, wie? Wenn du in einem Beruf ewig keine Lehrstelle findest, könnte es dann sein, daß du auch später arbeitslos bist? Weil es vielleicht gar nicht so viele Häuser gibt, die renoviert werden müssen? Weil es ein Blödsinn ist für Leute, die vor allem im Leben Spaß haben wollen? Weil es
eine Idiotie ist, eine Hirnrissigkeit, auf die wieder nur mein Sohn kommen kann?« Seine Stimme war gefährlich laut geworden. Keith kannte die Abläufe bei seinem Vater. Gleich würde er brüllen. Gleich würde er ausrasten. Gleich würde er ihm die schlimmsten Schimpfwörter und Beleidigungen an den Kopf werfen.
    Er soll mich in Ruhe lassen, dachte Keith.
    »Ich muß meinen Weg gehen, Vater«, sagte er.
    Offensichtlich war dies ein geeignetes Stichwort, seinen Vater endlich explodieren zu lassen - und damit das zu erreichen, worauf das Gespräch von Anfang an angelegt gewesen war.
    » Du mußt deinen Weg gehen? Du mußt deinen Weg gehen?« brüllte er. Mrs. Mallory zog sich erschrocken in die Küche zurück, eine Katze, die gerade den Hausflur betreten hatte, suchte in großen Sprüngen das Weite. »Ich höre immer: Du mußt deinen Weg gehen! Gehen? Hast du wirklich gehen gesagt? Weißt du, was gehen ist? Gehen ist Bewegung! Vorankommen! Ein Ziel haben und auf dieses Ziel zumarschieren! Aber davon sehe ich bei dir nichts! Wo gehst du denn, bitte sehr? Du hängst doch nur herum! Du gammelst in den Tag hinein! Du treibst dich herum, kommst und gehst, wann es dir paßt! Du läßt dich von meinem Geld ernähren, und deine Mutter darf deine Wäsche waschen, und von dir kommt nichts, gar nichts!« Er wurde schon wieder heiser. Das war das Gute an dem Alten. Im Unterschied zu früher hielt seine Stimme einfach nicht mehr lange durch.
    »Ich habe es satt, einen Versager durchzufüttern!« krächzte er. Vor Anstrengung, laut zu bleiben, traten ihm die Adern an der Stirn hervor. »Ich habe es satt, einem Penner ein Dach über dem Kopf anzubieten! Ich habe es satt, mich abzuarbeiten von morgens bis abends für einen Parasiten! Jawohl, für einen lausigen Parasiten !«
    Keith trat einen Schritt zurück. In seinen Ohren begann es zu rauschen. Er wollte sich das nicht anhören, nein, er wußte, es tat ihm nicht gut. Sein Vater ging zu weit. Er mußte sich das nicht anhören.

    »Geh doch deinen Weg! Geh doch, verdammt, deinen Weg! Tu es endlich! Geh! Verschwinde!« Er nahm noch einmal

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