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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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anziehen, und sie würde dem nicht weiter zusehen. Und so weiter.
    Tim redete beruhigend auf sie ein, inzwischen hatte sie eine
fast lilafarbene Birne, und ich glaube, Tim hatte Angst, daß sie einen Schlaganfall kriegt und krepiert. Was ich persönlich für die beste Tat ihres Lebens hielte!
    Sie ließ mich los und tobte wie ein Irrwisch herum, und natürlich wurden jetzt alle aufmerksam, Evelin und J. und Leon und seine beiden blöden Bälger, und schließlich sogar Papa, der wie ein Gespenst aussah und sich dauernd mit der Hand über das Gesicht strich.
    J. wollte vermitteln, sie sagte so etwas wie: Sie und Papa wollten mit mir allein reden, aber ich sprang ihr fast ins Gesicht und sagte, ich will aber nicht mit ihr reden, und sie soll mich endlich in Ruhe lassen. Kann sein, ich habe gesagt: Verpiss dich! Papa behauptet es steif und fest. Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, ich habe nur gesagt, sie soll mich in Ruhe lassen. Aber ist ja auch egal.
    Jedenfalls bekam Patricia ihren zweiten Tobsuchtsanfall, kann nachdem der erste abgeklungen war, und sie attackierte den armen Papa in der typischen Patricia-Art, aber so schrecklich viel Mitleid kann ich trotzdem nicht mit ihm haben, denn wer ist er denn, daß er sich ihr Gehabe seit Jahren bieten läßt? Sie meinte, ich sei ein völlig mißratenes Kind, total auf der schiefen Bahn, und es würde sie nicht wundern, wenn ich noch kriminell würde. Ich müßte in ein Internat, dann wäre vielleicht noch etwas zu retten, und - das war die größte Frechheit!!! - sie fühle sich Elena gegenüber verpflichtet , jetzt nicht wegzuschauen, sondern zu verhindern, daß ich mich mit obskurem Gesindel herumtreibe!
    Ich schnauzte sie an: »Mein Freund ist kein Gesindel!«
    »Aha!« kreischte sie. »Du gibst also zu, daß du einen Freund hast!«
    »Ja. Und ich liebe ihn sehr!«
    »Hört, hört«, sagte Tim, dieses Arschloch auf zwei Beinen, und J. meinte leise: »Das ist doch ganz normal.«
    Ich sagte, daß ich jetzt gehen würde, aber da sagte Papa, nein, es werde ihm auch zuviel, ich solle heute mal dableiben.

    »Nicht nur heute!« kam es natürlich sofort von Patricia, aber diesmal ignorierte Papa sie und redete nur mit mir.
    »Ich weiß gar nicht mehr, wo du steckst, was du tust. Du hast einen Freund? Schön, dann laß uns darüber reden. Lade ihn hierher ein. Ich würde ihn gern kennenlernen.«
    »Ich will zu ihm«, stieß ich hervor, während ich zu meinem Entsetzen merkte, daß ich gleich losheulen würde; meine Augen schwammen schon, und mein Kinn zitterte.
    »Heute bleibst du mal hier«, wiederholte Papa.
    Ich kann nicht sagen, wie schrecklich dieser Moment war. Wie ich da stand, umzingelt von ihnen allen, hilflos, wehrlos, und all die Blicke richteten sich auf mich: Evelin und J. sahen mitleidig aus, Tim irgendwie höhnisch, Leon so, als hätte er Kopfweh, Diane und Sophie glotzten und würden für den Rest des Tages nur noch über mich herziehen, und Patricia stierte mich an wie eine Hexe ihr gefangenes Opfer. Papa sah todtraurig aus. Mir war total schwindlig, und plötzlich sah ich ein Bild, es war in ganz grelles Licht getaucht, so als ob ein Blitz aufzuckt und für eine Sekunde eine Szene beleuchtet, die sonst im Dunkeln liegt, und auf dem Bild war ich mit einer Pistole, und ich schoß in diese Gesichter hinein, und ihre Augen waren ganz weit aufgerissen, und Blut quoll aus ihren Mündern, und einer nach dem anderen fiel zu Boden, keiner starrte mich mehr an, keiner hatte mehr Macht über mich.
    Ich war frei.
    Der Blitz war schon wieder weg, und da standen sie, genauso wie vorher, lebendig und stark und wie eine Mauer.
    Ich ging einfach durch sie hindurch, die Treppe hinauf, hier in mein Zimmer. Zum Glück hatte ich das Weinen unterdrücken können. Erst jetzt laufen mir die Tränen über das Gesicht, aus Wut und weil ich so hilflos bin. Ich muß so sehr an Mama denken, sie hat sie alle so gehaßt, daß sie sich von Papa hat scheiden lassen.
    Und ich denke an Keith. Er wird auf mich warten. Er fragt sich bestimmt, wo ich bleibe. Ich bin so verzweifelt.
    Ich muß hier raus!

    19
    Da sie es nicht fertigbrachte, einfach abzureisen - »Hast du ernsthaft geglaubt, du wärst dazu in der Lage?« hatte Lucy, mit der sie ein verzweifeltes Telefongespräch geführt hatte, spöttisch gefragt -, beschloß sie, mit ihm zu reden. So, wie es war, konnte es nicht weitergehen. Die Ungeklärtheit der Situation drohte sie zu vernichten oder drohte zumindest etwas Wesentliches in

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