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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ihr zu vernichten: ihre Lebensfreude, ihre Jugendlichkeit, ihr Selbstvertrauen. Lucy hatte ihr das immer wieder vorgehalten. Jetzt, nach Jahren, begriff sie, wie recht die Freundin hatte.
    Sie war dabei, sich selbst zu verlieren. Irgendwo inmitten enttäuschter Hoffnung, vergeblichen Wartens und des ständigen Gefühls der Demütigung löste die alte Geraldine sich auf. Verwandelte sich in ein krankes, trauriges Geschöpf, das irgendwann für kleinste Zuwendungen bereits dankbar sein würde.
    »Du bist eine so schöne Frau«, hatte Lucy eindringlich gesagt, »und noch dazu eine intelligente und einfühlsame Frau! Dutzende von Männern würden sich die Finger nach dir lecken und alles tun, um dich glücklich zu machen. Bitte, Geraldine, spring ab, bevor du dich vor lauter Depressionen nicht mehr bewegen kannst.«
    »Ich kann nicht, Lucy. Ich kann ihn nicht loslassen.«
    »Du gehst kaputt dabei!«
    Sie hatten hin und her geredet, und schließlich willigte Geraldine ein, mit ihm zu sprechen und ihm ihre Vorstellungen und Wünsche klar zu benennen.
    »Nicht, daß ich mir davon allzuviel versprechen würde«, hatte Lucy geseufzt, »aber es besteht die minimale Chance, daß er dann eine klare Antwort geben muß. Wenn du es geschickt anfängst. Er muß sich äußern, wie er sich eure Zukunft vorstellt. Aber dir sollte auch klar sein, daß du Konsequenzen ziehen mußt, wenn du mit seiner Vorstellung nicht zurechtkommst.«

    Davor fürchtete sie sich. Um so mehr, als sie wußte, daß der Zeitpunkt tatsächlich erreicht war. Sie durfte sich nicht länger hinhalten lassen. Und das konnte das Ende bedeuten.
    Wie meistens war er früh am Morgen verschwunden, hatte das Schlafzimmer lautlos verlassen. Sie war wach gewesen - merkte er eigentlich gar nicht, daß sie schon seit vielen Nächten nicht mehr schlief? -, aber sie hatte die Augen geschlossen gehalten und sich nicht gerührt. Es kränkte sie, mit wieviel Gleichmut und Selbstverständlichkeit er sie aus seinem Leben ausschloß. Er kam und ging, wie es ihm paßte. Er ignorierte sie komplett.
    Als er weg war, war sie aufgestanden, hatte ihre Sportsachen angezogen und war zum Joggen gegangen. Als sie zurückkehrte, fühlte sie sich besser. Wie immer hatte das Laufen ihr Selbstvertrauen gestärkt.
    Sie duschte, zog sich an und setzte sich in den Empfangsbereich des kleinen Hotels. Es gab dort zwei große braune Ledersessel und einen ganzen Stapel zerlesener Ausgaben von Hello . Sie blätterte darin herum, ohne etwas von dem, was sie sah, wirklich wahrzunehmen. Von den meisten Seiten lächelten die Queen oder ihre Kinder und Enkel. Die Hefte waren fleckig und abgegriffen, hatten Eselsohren, und häufig fehlten Seiten mit Kochrezepten, Diäten und Gymnastikvorschlägen. Aus irgendeinem Grund verstärkten die Zeitschriften ihre Depression. Vielleicht, weil sie so staubig, so benutzt und liegengelassen wirkten.
    Genau wie ich, dachte sie.
    Er betrat gegen zehn Uhr das Hotel, und sie erkannte sofort, daß der Zeitpunkt für eine Aussprache denkbar ungünstig war. Phillip war nicht nur einfach schlecht gelaunt - er kochte vor Wut. Er sah aus, als wollte er dem nächstbesten Menschen, der ihm einen Grund dazu gab, den Hals umdrehen.
    Doch obwohl sie genau wußte, daß es ein Fehler war und daß sie nur verlieren konnte, war sie dennoch sicher, daß sie genau jetzt mit ihm reden mußte. Sie hatte sich darauf eingestellt, hatte sich eine Reihe entscheidender Sätze wieder und wieder vorgesagt,
hatte ihren ganzen Mut zusammengekratzt. Wenn sie es jetzt nicht tat, würde sie es für Wochen oder gar Monate nicht mehr tun. Und an der Spannung, die sich in ihr aufgebaut hatte, ersticken.
    »Hallo, Phillip«, sagte sie und stand auf.
    Er hatte sie zuvor überhaupt nicht bemerkt und zuckte nun zusammen. »Ach - du, Geraldine!« sagte er dann, und sie konnte geradezu physisch spüren, wie stark er sich wünschte, sie möge sich in Luft auflösen oder auf sonst irgendeine Art verschwinden - Hauptsache, sie ließe ihn allein und in Ruhe. Sie trat auf ihn zu.
    »Offensichtlich gelingt es uns überhaupt nicht mehr, einmal zusammen zu frühstücken«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln.
    »Wieso frühstücken? Du frühstückst doch sowieso nie!« Die steile Falte über seiner Nase ließ vermuten, daß er Kopfschmerzen hatte.
    Fang jetzt kein Grundsatzgespräch an , warnte eine innere Stimme, aber Geraldine wußte voller Verzweiflung, daß es ihr nicht gelingen würde, auf sie zu hören.
    »Ich

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